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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 19. Juli 2013
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Halfwassen, Jens: Gott im Denken: Warum die Philosophie auf die Frage nach Gott nicht verzichten kann
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0071
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SITZUNGEN

des Ganzen von der Welt unterscheidet und ihn als das die Welt transzendierende
Andere der Welt denkt. Dieser philosophische Monotheismus ist mit dem
Ursprungsgedanken der Metaphysik untrennbar verbunden und begleitet ihn durch
die gesamte Geschichte der europäischen Philosophie hindurch. Seit denVorsokra-
tikern, seit Platon und Aristoteles ist Philosophie als Metaphysik die Suche nach dem
göttlichen Ursprung des Ganzen und insofern philosophische Theologie. Der Ver-
zicht auf die Frage nach Gott verabschiedet sich darum von dem Verständnis von
Philosophie, das deren gesamte Geschichte von Platon bis zu Hegel und darüber hin-
aus bestimmt hat. Darum kann die Philosophie die Frage nach Gott nicht aufgeben,
ohne sich selbst aufzugeben.
Die Frage, was Gott ist, wird freilich von den Vorsokratikern bis zu den philo-
sophisch-theologischen Denkversuchen der Gegenwart so unterschiedlich beant-
wortet, dass leicht der Eindruck einer unübersehbaren Divergenz entstehen kann
und damit die Versuchung, die Frage als unentscheidbar aufzugeben oder gar für
sinnlos zu erklären. Der Anschein der Unüberschaubarkeit löst sich auf, wenn sich
die geschichtlich gegebenen Antworten auf die Frage nach Gott in eine begrenzte
Anzahl von Grundtypen sortieren lassen. Unterscheiden lassen sich dann drei Grund-
typen, und zwar, weil sich das Verhältnis des Ursprungs zum Ganzen grundsätzlich
nur in drei verschiedenen Weisen denken lässt:
erstens kann der Ursprung als das grundlegende und vorzüglichste Element
innerhalb des Ganzen konzipiert werden — dies führt zum Gedanken von Gott als
dem höchsten Seienden oder vollkommensten Wesen, das in einer affirmativen Theo-
logie begriffen wird;
zweitens kann das Ganze als die Selbstdarstellung des Ursprungs gedacht wer-
den, der damit vom Ganzen selber nicht verschieden ist — dies führt zum Gedanken
der All-Einheit, der in seinen höchsten Ausformungen Gott als absoluten Geist in
einer spekulativen (d.h. nicht gegenständlichen und nicht der Logik des Gegenständ-
lichen unterworfenen) Theologie konzipiert;
drittens kann der Ursprung als die Verneinung des Ganzen gedacht werden,
wobei diese Negation dann kein Fehlen von Bestimmtheit ausdrückt, sondern die
Transzendenz über das Verneinte — dies führt zum Gedanken des absoluten Einen
„jenseits des Seins“, der das Absolute als reine Transzendenz in einer negativen Theo-
logie denkt.
Alle drei Grundformen werden schon in der antiken Philosophie ausgebildet
(Typ 1 zuerst bei Anaxagoras und vollendet bei Aristoteles,Typ 2 bei Parmenides und
Heraklit, Typ 3 zuerst bei Platon und vollendet bei Plotin) und halten sich dann
durch die Philosophiegeschichte durch und werden auch in der Gegenwart vertre-
ten; so lassen sich etwa Thomas von Aquin und Leibniz Typ 1, Meister Eckhart und
Hegel Typ 2, Nikolaus von Kues und der späte Fichte Typ 3 zuordnen.
Philosophisch unentbehrlich sind vor allem Typ 2 und 3, denn die negative
Theologie des transzendenten Einen nach Typ 3 ist die konsequenteste mögliche
Ausformung des Ursprungsgedankens, der für die Philosophie grundlegend ist,
während die spekulative Theologie der All-Einheit nach Typ 2 für eine konsequen-
te Philosophie des Geistes unverzichtbar ist, die die Verhältnisse von Gott und Welt
 
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