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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Öffentliche Gesamtsitzung an der Universität Ulm am 14. Dezember 2013
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Eröffnung der Sitzung durch den Präsidenten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Paul Kirchhof
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0094
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14. Dezember 2013

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die Würde im Sterben für den einzelnen Menschen in seiner individuellen Not und
Hoffnung zu wahren, dabei allgemeine Maßstäbe zu entwickeln, die der Unantast-
barkeit der Menschenwürde in ihrer jeweiligen Individualität und Personalität
gerecht werden.
Die stetig wachsende Kunst der Organtransplantation fordert von Recht und
Ethik, die bisherigen Fragen der Organgewinnung und Organverteilung neu zu
überdenken. Wann ist der Tod eines Menschen rechtsverbindlich feststellbar, wenn
der Herzschlag beendet ist oder wenn sich Gehirnströme nicht mehr messen lassen?
Bedarf die Bereitschaft, eigene Organe nach dem Tode zu spenden, einer individu-
ellen Zustimmung, oder darf der Gesetzgeber, um das Organaufkommen zu steigern,
eine wiederlegbare Zustimmungsvermutung einführen? Dürfen Anreize geschaffen
werden, die solche Patienten bei der Organvergabe bevorzugen, die selbst zur
Organspende bereit sind? Darf Patienten mit geringen, aber durchaus vorhandenen
Überlebenschancen nach einer Transplantation der Zugang zu den Organwartelisten
verweigert werden? Dürfen Patienten mit alkoholbedingten Erkrankungen bei
der Organverteilung unberücksichtigt bleiben? Inwieweit darf ein lebender Organ-
spender die Empfänger seines Organs bestimmen, sein Organ einem Familien-
angehörigen, einem Freund widmen, einem Patienten mit geringen Langzeitüber-
lebenschancen vorenthalten?
Elementarfragen menschlichen Selbstverständnisses, damit der Humanität ver-
anlassen die Fortschritte der Genforschung. Wenn es heute immer einfacher wird, die
Gene eines Menschen in kurzer Zeit in einem kostengünstigen einfachenVerfahren
zu analysieren, so gewinnt der Forscher ein Wissen von einem anderen Menschen
und seiner Identität, das dem Betroffenen vorenthalten ist. Zugleich entstehen Inter-
ventionsmöglichkeiten, um die Identität des Menschen zu verändern. Das Funda-
ment unseres rechtlichen Denkens, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen in
seiner Individualität und Identität, beginnt zu wanken.
Die herkömmlichen Voraussetzungen für einen Eingriff in die Kör per Integrität
des Menschen, durch den geheilt, auch Forschungsergebnisse erzielt werden sollen,
ist der Fünfklang von Diagnose, Aufklärung, Einwilligung, Behandlung nach dem
Stand heutiger Wissenschaft und Technik, Dokumentation. Diese Maßstäbe genügen
dem gentechnischen Informationseingriff nicht. Das menschliche Genom wird auch
analysiert, wenn keine Krankheitsdiagnose veranlasst ist oder durchgeführt wird. Die
Aufklärung über das mit dem genetischen Eingriff erschlossene Wissen und der darin
angelegten Handlungsmöglichkeiten greift ins Uferlose, weil die gezielte Suche nach
Krankheitssymptomen durch Zusatzbefunde ergänzt werden kann, die Heilbarkeit
entdeckter Krankheiten von Fortschritten der Medizin abhängt, die aktuellen Fol-
gen der entdeckten normalen und pathologischen Befunde für den Betroffenen eher
vermutet als vorausgesagt werden können. Dementsprechend fehlt der Einwilligung
des Betroffenen oft die gediegene empirische Grundlage. Zudem ist nicht gewiss, ob
der informiert Einwilligende den ihm mitgeteilten Befund für sich behält oder an
seine Familie mit gleichen Genen weitergibt, die bestürzt von den eigenen Mängeln
erfährt, ohne vorher in dieses Wissen eingewilligt zu haben. Darf der wissende
Genforscher seine Kenntnisse an andere weitergeben — den Arbeitgeber, die Ver-
 
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