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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
DOI chapter:
Wissenschaftliche Sitzungen
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Öffentliche Gesamtsitzung an der Universität Ulm am 14. Dezember 2013
DOI article:
Debatin, Klaus-Michael: Ethische Fragen der modernen Medizin
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0101
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SITZUNGEN

Patienten zur Verfügung zu stellen, bei denen die Produktion des genannten Faktors
aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist. Neben insulinabhängigem Diabetes
gehört dazu ein relativ seltenes Krankheitsbild — der Wachstumshormonmangel. Kin-
der mit Wachstumshormonmangel wachsen nicht im üblichen Maße und bleiben in
ihrem Endlängenwachstum erheblich zurück. Die Möglichkeit, unbegrenzt gentech-
nologisch hergestelltes Wachstumshormon zur Verfügung zu haben, hat aber auch
dazu geführt, dass Kinder mit sogenanntem „idiopathischem Kleinwuchs“, platt
gesagt „Mutter ist klein, Vater ist klein, Kind kann nicht größer werden“, mit Hilfe
der Wachstumshormontherapie in ihrer Größe einige Zentimeter mehr nach oben
bewegt werden können. Verschiedene Studien haben einen Zusammenhang zwi-
schen Körpergröße und Erfolg im Leben suggeriert. Eltern wollen natürlich, dass
ihre Kinder die bestmöglichen Aussichten auf größtmöglichen Erfolg haben und
dabei spielt die Körpergröße eine Rolle. Bei einem Kind mit sogenanntem „idio-
pathischem Kleinwuchs“, bei dem also kein echter Wachstumshormonmangel vor-
liegt, kann die Gabe von Wachstumshormonen, gegeben über fünf Jahre, eine
Verbesserung der Längenzunahme von ca. 4 bis 7, in Einzelfällen bis max. 10 cm
bewirken. Diese Therapie erfordert tägliche Injektionen mit gentechnologisch her-
gestellten Wachstumshormonen über fünf Jahre. Die Gesamtkosten belaufen sich, je
nach Dosis, auf z. T. über 200.000 €. Ist es ethisch gerechtfertigt, einen gesunden
Menschen zu behandeln, um einige Zentimeter Endgröße mehr zu erreichen? Ist es
gegenüber der Gesellschaft ethisch gerechtfertigt, die knappen Ressourcen im
Gesundheitssystem für „Lifestyle“ einzusetzen? In diesem Zusammenhang kann man
natürlich viele Lifestyle-Interventionen von Viagra bis Massagen und Kuren unter
dem Gesichtspunkt der Inanspruchnahme von Ressourcen im Gesundheitssystem
diskutieren. Diese Diskussion möchte ich an dieser Stelle nicht weiterführen.
Ein zweiter Aspekt des sogenannten „Enhancement“ ist die Steigerung der
kognitiven Fähigkeiten. Die Neurowissenschaften haben in den letzten 20 Jahren
einen ungeheuren Aufschwung genommen, die Heilsversprechen der Grundlagen-
wissenschaften betreffen dabei insbesondere Krankheiten, die uns im Alter mehr
oder weniger alle betreffen, wie nachlassende kognitive Eigenschaften bis hin zu
Neurodegeneration und Demenz. Bei einigen dieser Krankheiten sind genetische
Veranlagungen beteiligt, bei den meisten Erkrankungen kennen wir allerdings bis
heute die Ursachen nicht im Detail. Die Neuro Wissenschaften haben sich dabei, vor
allem in der Grundlagenforschung, vom Studium von Einzelzellen hin zu Unter-
suchungen in Zellverbänden bzw. im komplexen System der Gehirnorganisation
verändert. Damit wird es nicht nur möglich, weitreichende Einblicke in das Funk-
tionieren des normalen Gehirns und seiner Störungen bei Erkrankungen zu gewin-
nen, sondern letztendlich eröffnet sich damit auch die Möglichkeit, zur mehr oder
weniger gezielten Manipulation und Beeinflussung kognitiver Eigenschaften. Ein
weiteres Ergebnis ist die insbesondere von einigen Neurowissenschaftlern hervorge-
brachte Feststellung zu sehen, dass der menschliche Wille nicht frei sei, sondern letzt-
endlich von den neuronalen Netzwerken im Gehirn diktiert wird. Diese Erkenntnis
ist einerseits trivial, da natürlich jedwede kognitive Funktion, die wir ausüben, nur
durch das Gehirn zustande kommt. Andererseits hat die Diskussion über die mög-
 
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