Thomas Boehm
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dungsfähigkeit von Antikörpern beispielsweise ist phänomenal: sie können sogar
enantiomere Strukturen, also Bild und Spiegelbild eines Moleküls diskriminie-
ren. Im Gegensatz dazu verzichtet das evolutionär ältere Immunsystem der wir-
bellosen Tiere auf diese hochauflösende Unterscheidung und beschränkt sich
auf die Erkennung von Stoffklassen, also zum Beispiel die Bestandteile von Zell-
wänden oder Flagellen von Einzellern. Die besondere Leistungsfähigkeit des
Immunsystems der Wirbeltiere entsteht dadurch, dass im Laufe des Lebens eines
jeden einzelnen Individuums die Vielzahl der Rezeptoren aus einem relativen
bescheidenen genetischen Repertoire durch trickreiche kombinatorische Ver-
fahren entsteht. Unglücklicherweise ergibt sich aus dieser Fähigkeit der Nach-
teil, dass bei der großen Diversität der Rezeptoren auch solche entstehen kön-
nen, die Selbststrukturen erkennen und damit eine unerwünschte autoimmune
selbstzerstörerische Reaktion auslösen können. Aus diesem Grund muss der
Entstehung der Immunzellen eine Qualitätskontrolle nachgeschaltet werden, die
solche Selbstreaktivität eliminiert. Der molekularen Basis dieser dualen Funkti-
on sogenannter primärer lymphatischer Organe nachzugehen, ist für uns von
großem Interesse, welches wir nach dem Umzug im Jahre 1998 an das Max-
Planck-Institut für Immunbiologie (seit 2010 Max-Planck-Institut für Immun-
biologie und Epigenetik) noch weiter ausgebaut haben, insbesondere im Hin-
blick auf die größere Zahl der in unsere Untersuchungen einbezogenen Tier-
spezies.
Als besonders fruchtbar haben sich für uns zwei Strategien erwiesen. Zum
einen fuhren wir vergleichende Untersuchungen verschiedenster Arten durch, von
den einfachen Rundmäulern, die Sie als Neunaugen kennen, über Haie, Knochen-
fische bis hin zum Mensch. Nicht ganz unerwartet finden wir, dass die Anzahl der
zur Funktion beitragenden Komponenten immer mehr ansteigt. Um zu zeigen, dass
scheinbar komplexe Funktionen auch mit wenigen Komponenten auszuführen sind,
rekonstruieren wir solche basalen Eigenschaften in Mäusen, mit dem Ziel, eines
Tages künstliche Organe herstellen zu können.
Die zweite Strategie beruht auf der genauen Analyse von Fehlfunktionen im
Immunsystem von Fischen, Mäusen und Menschen mit dem Ziel, Krankheitser-
scheinungen zu korrigieren. Es zeigt sich nun die unerwartete Möglichkeit, dass,
anstatt genetische Läsionen durch direkte Reparatur zu beseitigen, es zur Besserung
auch möglich ist, an anderen Stellen eines genetischen Netzwerkes kompensatori-
sche Defekte einzuführen. Diese nicht unmittelbar offensichtliche Strategie hat in
unseren Augen ein außerordentlich großes Potential, und wir wollen dieses Prinzip
in Zusammenarbeit mit unseren klinisch tätigen Kollegen in den nächsten Jahren
weiter erforschen.
Da ich in diesem kurzen Überblick viele interessante Aspekte unberücksichtigt
lassen muss, lade ich Sie ein, bei Interesse unsere Publikationen für weiterführende
Informationen zur Hand zu nehmen. Mir ist dies vor allem deshalb wichtig, weil Sie
dann auch leicht ersehen können, dass ich über die Jahre immer das Glück hatte, mit
außerordentlich begabten Studenten und Postdoktoranden zu arbeiten, die mit ihrer
Intelligenz und ihrem nicht nachlassenden Eifer die Projekte entscheidend voränge-
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dungsfähigkeit von Antikörpern beispielsweise ist phänomenal: sie können sogar
enantiomere Strukturen, also Bild und Spiegelbild eines Moleküls diskriminie-
ren. Im Gegensatz dazu verzichtet das evolutionär ältere Immunsystem der wir-
bellosen Tiere auf diese hochauflösende Unterscheidung und beschränkt sich
auf die Erkennung von Stoffklassen, also zum Beispiel die Bestandteile von Zell-
wänden oder Flagellen von Einzellern. Die besondere Leistungsfähigkeit des
Immunsystems der Wirbeltiere entsteht dadurch, dass im Laufe des Lebens eines
jeden einzelnen Individuums die Vielzahl der Rezeptoren aus einem relativen
bescheidenen genetischen Repertoire durch trickreiche kombinatorische Ver-
fahren entsteht. Unglücklicherweise ergibt sich aus dieser Fähigkeit der Nach-
teil, dass bei der großen Diversität der Rezeptoren auch solche entstehen kön-
nen, die Selbststrukturen erkennen und damit eine unerwünschte autoimmune
selbstzerstörerische Reaktion auslösen können. Aus diesem Grund muss der
Entstehung der Immunzellen eine Qualitätskontrolle nachgeschaltet werden, die
solche Selbstreaktivität eliminiert. Der molekularen Basis dieser dualen Funkti-
on sogenannter primärer lymphatischer Organe nachzugehen, ist für uns von
großem Interesse, welches wir nach dem Umzug im Jahre 1998 an das Max-
Planck-Institut für Immunbiologie (seit 2010 Max-Planck-Institut für Immun-
biologie und Epigenetik) noch weiter ausgebaut haben, insbesondere im Hin-
blick auf die größere Zahl der in unsere Untersuchungen einbezogenen Tier-
spezies.
Als besonders fruchtbar haben sich für uns zwei Strategien erwiesen. Zum
einen fuhren wir vergleichende Untersuchungen verschiedenster Arten durch, von
den einfachen Rundmäulern, die Sie als Neunaugen kennen, über Haie, Knochen-
fische bis hin zum Mensch. Nicht ganz unerwartet finden wir, dass die Anzahl der
zur Funktion beitragenden Komponenten immer mehr ansteigt. Um zu zeigen, dass
scheinbar komplexe Funktionen auch mit wenigen Komponenten auszuführen sind,
rekonstruieren wir solche basalen Eigenschaften in Mäusen, mit dem Ziel, eines
Tages künstliche Organe herstellen zu können.
Die zweite Strategie beruht auf der genauen Analyse von Fehlfunktionen im
Immunsystem von Fischen, Mäusen und Menschen mit dem Ziel, Krankheitser-
scheinungen zu korrigieren. Es zeigt sich nun die unerwartete Möglichkeit, dass,
anstatt genetische Läsionen durch direkte Reparatur zu beseitigen, es zur Besserung
auch möglich ist, an anderen Stellen eines genetischen Netzwerkes kompensatori-
sche Defekte einzuführen. Diese nicht unmittelbar offensichtliche Strategie hat in
unseren Augen ein außerordentlich großes Potential, und wir wollen dieses Prinzip
in Zusammenarbeit mit unseren klinisch tätigen Kollegen in den nächsten Jahren
weiter erforschen.
Da ich in diesem kurzen Überblick viele interessante Aspekte unberücksichtigt
lassen muss, lade ich Sie ein, bei Interesse unsere Publikationen für weiterführende
Informationen zur Hand zu nehmen. Mir ist dies vor allem deshalb wichtig, weil Sie
dann auch leicht ersehen können, dass ich über die Jahre immer das Glück hatte, mit
außerordentlich begabten Studenten und Postdoktoranden zu arbeiten, die mit ihrer
Intelligenz und ihrem nicht nachlassenden Eifer die Projekte entscheidend voränge-