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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
Jahren ermöglichten naturwissenschaftliche Datierungsmethoden, diese auf evolutio-
nistischem Gedankengut und formenkundlichen Überlegungen beruhende Abfolge
von Bz Al nach Bz A2 zu prüfen. Das Bz Al-zeitliche Gräberfeld von Singen am
Oberrhein ergab 14C-Daten von ca. 2200—2000 v. Chr., während die Bz A2-zeit-
lichen Prunkgräber der Aunjetitzer Kultur in das 19. und 18. Jh. v. Chr. datiert wer-
den konnten. Inzwischen zeigen sich jedoch vermehrt Widersprüche: Die Bz Al-
zeitlichen Gräberfelder des mittleren Neckarraums sind zumeist erst ins frühe 2. Jt.
v. Chr. zu datieren. In der Aunjetitzer Kultur konnten Kontexte mit komplex gegos-
senen Bronzen (Quenstedt, Grab 34; Lek' Male, Grabhügel A; Melz, Hort II; Feu-
ersbrunn, Grab) schon in den Zeitraum 2200-2000 v. Chr. datiert werden. Dieser
Widerspruch zwischen traditioneller Stufenfolge und naturwissenschaftlicher Datie-
rung wurde bislang nicht aufgelöst. Johannes Müller konnte auf Basis umfassender
Radiokarbondatierungen von Kontexten des 3. und 2. Jts. v. Chr. in Mitteldeutsch-
land überzeugend ein Nebeneinander endneolithischer und frühbronzezeitlicher
Gemeinschaften aufzeigen. Zudem gelang es ihm, die gängige Stufengliederung der
Aunjetitzer Kultur auf Basis der Keramik anhand der Datierung relevanter Grab-
kontexte in Frage zu stellen. Der Mangel an Bronzen in Gräbern der Aunjetitzer
Kultur erlaubte es jedoch nicht, die Bz Al- und Bz A2-zeitlichen Typen des
Reineckeschen Systems absolut-chronologisch zu beleuchten. Im Gegensatz zu Mit-
teldeutschland und Baden-Württemberg mit 43 bzw. 34 publizierten absoluten
Datierungen aus Grab- und Depotfunden sind aus Bayern — der einzigen Region in
der auch Bz A2-Bronzen in größerer Zahl mit ins Grab gegeben wurden — bislang
kaum Radiokarbondatierungen frühbronzezeitlicher Grabfunde publiziert.
Die anhand der absoluten Datierungen offensichtlichen regionalen Unter-
schiede im Hinblick auf die Datierung von Bz Al und Bz A2 werfen bereits die
Frage auf, ob die traditionell nach Bz Al bzw. Bz A2 datierten Formen wirklich eine
zeitliche Abfolge oder nicht zumindest in einem gewissen Maße eher regionale Phä-
nomene widerspiegeln. Auf Basis der gegenwärtigen, traditionellen, relativ-chrono-
logischen Datierung sind die komplexen Prozesse des Wandels vom Endneolithikum
zur frühen Bronzezeit nicht zu verstehen. Der Grund für den Weiterbestand der tra-
ditionellen Perspektive ist sicherlich darin begründet, dass der neue Werkstoff und
die damit verbundene Technologie von einem Großteil der Forschung immer noch
als so zentraler zivilisatorischer Fortschritt verstanden werden, dass Fragen nach der
individuellen Bereitschaft zur Aneignung entsprechender Innovationen übersehen
wurden. Die Übernahme des Bronzegusses wurde aus heutiger Perspektive als wich-
tig und folgerichtig diagnostiziert und dabei außer Acht gelassen, dass die Akzeptanz
neuer Technologien wesentlich von der Akzeptanz der mit ihnen verflochtenen
weltanschaulichen Vorstellungen verbunden ist. Während in unserer Gegenwart die
Dichotomie zwischen möglichen technologischen Neuerungen und durch deren
Folgeerscheinungen bedrohten weltanschaulichen Vorstellungen in den Sozialwis-
senschaften und im gesellschaftlichen Diskurs — man denke etwa an die Diskussio-
nen über Atomenergie oder Gentechnik — offensichtlich ist, hat man bislang über-
sehen, dass derartige gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse auch im frühbronze-
zeitlichen Mitteleuropa stattgefunden haben dürften.
FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
Jahren ermöglichten naturwissenschaftliche Datierungsmethoden, diese auf evolutio-
nistischem Gedankengut und formenkundlichen Überlegungen beruhende Abfolge
von Bz Al nach Bz A2 zu prüfen. Das Bz Al-zeitliche Gräberfeld von Singen am
Oberrhein ergab 14C-Daten von ca. 2200—2000 v. Chr., während die Bz A2-zeit-
lichen Prunkgräber der Aunjetitzer Kultur in das 19. und 18. Jh. v. Chr. datiert wer-
den konnten. Inzwischen zeigen sich jedoch vermehrt Widersprüche: Die Bz Al-
zeitlichen Gräberfelder des mittleren Neckarraums sind zumeist erst ins frühe 2. Jt.
v. Chr. zu datieren. In der Aunjetitzer Kultur konnten Kontexte mit komplex gegos-
senen Bronzen (Quenstedt, Grab 34; Lek' Male, Grabhügel A; Melz, Hort II; Feu-
ersbrunn, Grab) schon in den Zeitraum 2200-2000 v. Chr. datiert werden. Dieser
Widerspruch zwischen traditioneller Stufenfolge und naturwissenschaftlicher Datie-
rung wurde bislang nicht aufgelöst. Johannes Müller konnte auf Basis umfassender
Radiokarbondatierungen von Kontexten des 3. und 2. Jts. v. Chr. in Mitteldeutsch-
land überzeugend ein Nebeneinander endneolithischer und frühbronzezeitlicher
Gemeinschaften aufzeigen. Zudem gelang es ihm, die gängige Stufengliederung der
Aunjetitzer Kultur auf Basis der Keramik anhand der Datierung relevanter Grab-
kontexte in Frage zu stellen. Der Mangel an Bronzen in Gräbern der Aunjetitzer
Kultur erlaubte es jedoch nicht, die Bz Al- und Bz A2-zeitlichen Typen des
Reineckeschen Systems absolut-chronologisch zu beleuchten. Im Gegensatz zu Mit-
teldeutschland und Baden-Württemberg mit 43 bzw. 34 publizierten absoluten
Datierungen aus Grab- und Depotfunden sind aus Bayern — der einzigen Region in
der auch Bz A2-Bronzen in größerer Zahl mit ins Grab gegeben wurden — bislang
kaum Radiokarbondatierungen frühbronzezeitlicher Grabfunde publiziert.
Die anhand der absoluten Datierungen offensichtlichen regionalen Unter-
schiede im Hinblick auf die Datierung von Bz Al und Bz A2 werfen bereits die
Frage auf, ob die traditionell nach Bz Al bzw. Bz A2 datierten Formen wirklich eine
zeitliche Abfolge oder nicht zumindest in einem gewissen Maße eher regionale Phä-
nomene widerspiegeln. Auf Basis der gegenwärtigen, traditionellen, relativ-chrono-
logischen Datierung sind die komplexen Prozesse des Wandels vom Endneolithikum
zur frühen Bronzezeit nicht zu verstehen. Der Grund für den Weiterbestand der tra-
ditionellen Perspektive ist sicherlich darin begründet, dass der neue Werkstoff und
die damit verbundene Technologie von einem Großteil der Forschung immer noch
als so zentraler zivilisatorischer Fortschritt verstanden werden, dass Fragen nach der
individuellen Bereitschaft zur Aneignung entsprechender Innovationen übersehen
wurden. Die Übernahme des Bronzegusses wurde aus heutiger Perspektive als wich-
tig und folgerichtig diagnostiziert und dabei außer Acht gelassen, dass die Akzeptanz
neuer Technologien wesentlich von der Akzeptanz der mit ihnen verflochtenen
weltanschaulichen Vorstellungen verbunden ist. Während in unserer Gegenwart die
Dichotomie zwischen möglichen technologischen Neuerungen und durch deren
Folgeerscheinungen bedrohten weltanschaulichen Vorstellungen in den Sozialwis-
senschaften und im gesellschaftlichen Diskurs — man denke etwa an die Diskussio-
nen über Atomenergie oder Gentechnik — offensichtlich ist, hat man bislang über-
sehen, dass derartige gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse auch im frühbronze-
zeitlichen Mitteleuropa stattgefunden haben dürften.