8. Juli 2000
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mehrfach heimsuchte und gut dokumentiert ist. Die mit der Pest gewonnenen
Erkenntnisse sind exemplarisch für die Epidemien unserer Zeit und liefern Vorstel-
lungen von kommenden Epidemien, falls es nicht gelingen sollte, wirksame Gegen-
maßnahmen weltweit zu etablieren.
In den Jahren 1346 bis 1352, innerhalb von nur 7 Jahren, starben in Mitteleuropa,
im nahen Osten und in Nordafrika nach zuverlässigen Quellen 20 bis 30 Millionen, bis
zu ein Drittel der Bevölkerung, an Pest. Der Tod trat wenige Tage nach der Infektion
ein. Es wurden ganze Familien ausgelöscht, die Sozialstruktur brach zusammen, die
Kranken wurden ausgegrenzt und allein gelassen, die Toten wurden nicht mehr ord-
nungsgemäß begraben, sondern in Massengräbern verscharrt, die Priester weigerten
sich, die Beerdigung vorzunehmen, die Notare regelten den Nachlaß nicht, die leer-
stehenden Häuser wurden ausgeraubt, es entstanden Hungersnöte. Noch heute
erzählen Pestkreuze von der Katastrophe. Die Pest des Mittelalters breitete sich von
Zentralasien ausgehend über die Seidenstraße, dem wichtigsten Landhandelsweg, nach
Mitteleuropa aus. Sie nahm ihren Weg per Schiff von der unteren Wolga über das
Schwarze Meer, Konstantinopel in den Balkan, und über die Hafenstädte Venedig,
Genua, Marseille, London, Bergen auf den europäischen Kontinent und dann nach
England. Die Pandemie wurde verursacht von Bakterien, Yersinia pestis, die im
Blutaustrich von Pesterkrankten unter dem Mikroskop als Stäbchen in hoher Zahl zu
erkennen sind.
Warum die Seuche des Mittelalters nach wenigen Jahren zusammengebrochen ist
und in diesem Ausmaß nie wieder auftrat, ist unklar. In frei lebenden Nagetieren
existiert weiterhin ein sehr großes Reservoir an Pesterregern, und es treten sporadisch
auch Pesterkrankungen auf. Heute stehen jedoch hochwirksame Antibiotika zur Ver-
fügung, so daß eine größere Pestepidemie gegenwärtig nicht zu befürchten ist. Es ist
jedoch durchaus möglich, daß in den Großstädten der dritten Welt mit unzureichen-
den hygienischen Bedingungen und Ratten in Massen lokale Epidemien auftreten.
Die mittelalterliche Pest lehrt, daß Epidemien unter folgenden Bedingungen auf-
treten:
- Übertragung von tierischen Erregern auf den Menschen durch engen Kontakt zu
Tieren
- Schlechte hygienischen Bedingungen
- Ausbreitung entlang von Handelswegen und Reisewegen
- Unkenntnis des Infektionsrisikos und mangelndes Verständnis der Krankheit.
Die Entwicklung der AIDS-Erkrankung paßt in jedem Punkt in dieses Schema.
Häufig vorkommende bakterielle Infektionserreger entwickeln zunehmend Resi-
stenz gegen viele, häufig gegen alle therapeutisch verwendeten Antibiotika. In Hos-
pitälern, in denen die Bakterien einem hohen Antibiotika-Selektionsdruck unterliegen,
ist die Resistenzentwicklung besonders ausgeprägt. Beängstigend ist auch die Aus-
breitung von Antibiotika-resistenten Keimen in der Nahrungsmittelindustrie. Aus
einem Rohmilchkäse wurde 1993 ein Lactococcus lactis-Keim isoliert, der gleichzeitig
gegen mehrere Antibiotika resistent war. Vermutlich sammelte der Keim die Resi-
stenzmerkmale in Kühen auf, die mit diesen Antibiotika behandelt wurden.
In Bakterien entwickelten sich ganz unterschiedliche Antibiotika-Resistenzmecha-
nismen, die sich aus normalen Stoffwechselprozessen ableiten. Meist genügt die Ver-
änderung in einem Gen, um Resistenz gegen ein bestimmtes Antibiotikum zu erlan-
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mehrfach heimsuchte und gut dokumentiert ist. Die mit der Pest gewonnenen
Erkenntnisse sind exemplarisch für die Epidemien unserer Zeit und liefern Vorstel-
lungen von kommenden Epidemien, falls es nicht gelingen sollte, wirksame Gegen-
maßnahmen weltweit zu etablieren.
In den Jahren 1346 bis 1352, innerhalb von nur 7 Jahren, starben in Mitteleuropa,
im nahen Osten und in Nordafrika nach zuverlässigen Quellen 20 bis 30 Millionen, bis
zu ein Drittel der Bevölkerung, an Pest. Der Tod trat wenige Tage nach der Infektion
ein. Es wurden ganze Familien ausgelöscht, die Sozialstruktur brach zusammen, die
Kranken wurden ausgegrenzt und allein gelassen, die Toten wurden nicht mehr ord-
nungsgemäß begraben, sondern in Massengräbern verscharrt, die Priester weigerten
sich, die Beerdigung vorzunehmen, die Notare regelten den Nachlaß nicht, die leer-
stehenden Häuser wurden ausgeraubt, es entstanden Hungersnöte. Noch heute
erzählen Pestkreuze von der Katastrophe. Die Pest des Mittelalters breitete sich von
Zentralasien ausgehend über die Seidenstraße, dem wichtigsten Landhandelsweg, nach
Mitteleuropa aus. Sie nahm ihren Weg per Schiff von der unteren Wolga über das
Schwarze Meer, Konstantinopel in den Balkan, und über die Hafenstädte Venedig,
Genua, Marseille, London, Bergen auf den europäischen Kontinent und dann nach
England. Die Pandemie wurde verursacht von Bakterien, Yersinia pestis, die im
Blutaustrich von Pesterkrankten unter dem Mikroskop als Stäbchen in hoher Zahl zu
erkennen sind.
Warum die Seuche des Mittelalters nach wenigen Jahren zusammengebrochen ist
und in diesem Ausmaß nie wieder auftrat, ist unklar. In frei lebenden Nagetieren
existiert weiterhin ein sehr großes Reservoir an Pesterregern, und es treten sporadisch
auch Pesterkrankungen auf. Heute stehen jedoch hochwirksame Antibiotika zur Ver-
fügung, so daß eine größere Pestepidemie gegenwärtig nicht zu befürchten ist. Es ist
jedoch durchaus möglich, daß in den Großstädten der dritten Welt mit unzureichen-
den hygienischen Bedingungen und Ratten in Massen lokale Epidemien auftreten.
Die mittelalterliche Pest lehrt, daß Epidemien unter folgenden Bedingungen auf-
treten:
- Übertragung von tierischen Erregern auf den Menschen durch engen Kontakt zu
Tieren
- Schlechte hygienischen Bedingungen
- Ausbreitung entlang von Handelswegen und Reisewegen
- Unkenntnis des Infektionsrisikos und mangelndes Verständnis der Krankheit.
Die Entwicklung der AIDS-Erkrankung paßt in jedem Punkt in dieses Schema.
Häufig vorkommende bakterielle Infektionserreger entwickeln zunehmend Resi-
stenz gegen viele, häufig gegen alle therapeutisch verwendeten Antibiotika. In Hos-
pitälern, in denen die Bakterien einem hohen Antibiotika-Selektionsdruck unterliegen,
ist die Resistenzentwicklung besonders ausgeprägt. Beängstigend ist auch die Aus-
breitung von Antibiotika-resistenten Keimen in der Nahrungsmittelindustrie. Aus
einem Rohmilchkäse wurde 1993 ein Lactococcus lactis-Keim isoliert, der gleichzeitig
gegen mehrere Antibiotika resistent war. Vermutlich sammelte der Keim die Resi-
stenzmerkmale in Kühen auf, die mit diesen Antibiotika behandelt wurden.
In Bakterien entwickelten sich ganz unterschiedliche Antibiotika-Resistenzmecha-
nismen, die sich aus normalen Stoffwechselprozessen ableiten. Meist genügt die Ver-
änderung in einem Gen, um Resistenz gegen ein bestimmtes Antibiotikum zu erlan-