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Sitzungen
gen. Zufällig und spontan entstandene Mutationen werden nach dem Darwinschen
Prinzip unter der Einwirkung der Antibiotika selektioniert und optimiert. Darüber
hinaus existieren ganze Genpakete, die offensichtlich nur Resistenz gegen ein
bestimmtes Antibiotikum verleihen.
Die Genomforschung bringt ein Ausmaß an Variabilität und Mobilität in der gene-
tischen Ausstattung von Bakterien zutage, die man sich ehemals nicht vorstellen
konnte. Eng verwandte Bakterien unterscheiden sich vollständig in einem Drittel ihres
Genoms. Die hohe Mutationsrate und eine ensprechend wirksame Selektion in großen
Populationen wird noch potenziert durch genetische Austauschmechanismen zwi-
schen Bakterien, die bewirken, daß Eigenschaften, die ein Keim erworben hat, auf
andere Keime übertragen werden.
Zur Eindämmung der Antibiotikaresistenz können einfache, wirksame und kosten-
günstige Maßnahmen ergriffen werden, wie die Unterbindung des Mißbrauchs von
Antibiotika bei der Tierzucht und die Beschränkung der Antibiotikabehandlung
Kranker auf dringliche Fälle von bakteriellen Infektionen, die anders nicht beherrsch-
bar sind. Diese Maßnahmen werden aber in Zukunft nicht ausreichen, um die mensch-
liche Population wirksam vor bakteriellen Epidemien zu schützen. Es bedarf der For-
schung auf unterschiedlichen Gebieten, um neue Therapieverfahren zu erkunden.
Dazu gehört die Erforschung der ungeheuer großen und bislang kaum charakterisier-
ten Vielfalt an Bakterien, die künstliche Neukombination von Antibiotika-Bio-
synthese- und Regulationsgenen, die umfangreiche Prüfung bekannter und neuer Sub-
stanzen mit Hilfe automatisierter Testverfahren und neu entdeckter Wirkorte und die
Ausnutzung aktiver Nährstoff-Transportsysteme zur Überwindung der Eindrin-
gungsresistenz. Ferner ist die Impfstoffentwicklung mit mehr Nachdruck als bisher zu
betreiben. Der rasche Erkenntnis gewinn vor allem bei der Aufklärung der Patho-
genitätsursachen und Pathogenitätsmechanismen durch die Anwendung molekular-
biologischer Methoden wird zu ursächlichen Therapieverfahren führen.
Der Mensch ist Teil eines Ökosystems, zu dem Bakterien gehören. Er ist nicht nur
ständig Bakterien aus der Umwelt ausgesetzt, sondern enthält auch mehr Bakterien als
eigene Zellen. Humanen Bakterien, Viren und Protozoen ging es noch nie so gut wie
heute. Sechs Milliarden Menschen sind ein phantastischer Nährboden. Einmal ent-
standene Antibiotika-resistente Keime leben wie im Schlaraffenland und können sich
in der Tierwelt wie im Menschen vermehren. Die Evolutionsgeschwindigkeit ist vor
allem eine Funktion der Populationsgröße und der Vermehrungsgeschwindigkeit und
beide sind bei Bakterien immens hoch. Megastädte und die Massentierhaltung bilden
für Mikroben ein Eldorado. Darüber hinaus sorgen der internationale Reiseverkehr
und der weltweite Vertrieb von Nahrungsmitteln für die Verbreitung der Mikroben.
Da Mikroben sehr viel schneller evolvieren als der Mensch, werden die natürlichen
Abwehrmechanismen nicht ausreichen, um sich gegen Mikroben zu schützen. Die
Menschheit muß sich aktiv wehren, wie dies bei den Pocken durch eine weltweite
Impfaktion in den 70er Jahren gelang und bis zum Jahr 2005 für die Kinderlähmung
erreicht sein sollte. Daß solche Erfolge aber nicht selbstverständlich sind, zeigen die
seit über einem Jahrzehnt laufenden enormen Bemühungen, einen Impfstoff gegen das
HIV zu entwickeln, bisher ohne Erfolg. Was immer entdeckt und in die Praxis umge-
setzt wird, die Mikroben werden uns voraus sein und wir werden meist reagieren und
nicht agieren. Auch mit der weitgehend künstlichen Welt, die wir geschaffen haben,
werden wir uns der Auseinandersetzung mit den Mikroben nicht entziehen können.
Sitzungen
gen. Zufällig und spontan entstandene Mutationen werden nach dem Darwinschen
Prinzip unter der Einwirkung der Antibiotika selektioniert und optimiert. Darüber
hinaus existieren ganze Genpakete, die offensichtlich nur Resistenz gegen ein
bestimmtes Antibiotikum verleihen.
Die Genomforschung bringt ein Ausmaß an Variabilität und Mobilität in der gene-
tischen Ausstattung von Bakterien zutage, die man sich ehemals nicht vorstellen
konnte. Eng verwandte Bakterien unterscheiden sich vollständig in einem Drittel ihres
Genoms. Die hohe Mutationsrate und eine ensprechend wirksame Selektion in großen
Populationen wird noch potenziert durch genetische Austauschmechanismen zwi-
schen Bakterien, die bewirken, daß Eigenschaften, die ein Keim erworben hat, auf
andere Keime übertragen werden.
Zur Eindämmung der Antibiotikaresistenz können einfache, wirksame und kosten-
günstige Maßnahmen ergriffen werden, wie die Unterbindung des Mißbrauchs von
Antibiotika bei der Tierzucht und die Beschränkung der Antibiotikabehandlung
Kranker auf dringliche Fälle von bakteriellen Infektionen, die anders nicht beherrsch-
bar sind. Diese Maßnahmen werden aber in Zukunft nicht ausreichen, um die mensch-
liche Population wirksam vor bakteriellen Epidemien zu schützen. Es bedarf der For-
schung auf unterschiedlichen Gebieten, um neue Therapieverfahren zu erkunden.
Dazu gehört die Erforschung der ungeheuer großen und bislang kaum charakterisier-
ten Vielfalt an Bakterien, die künstliche Neukombination von Antibiotika-Bio-
synthese- und Regulationsgenen, die umfangreiche Prüfung bekannter und neuer Sub-
stanzen mit Hilfe automatisierter Testverfahren und neu entdeckter Wirkorte und die
Ausnutzung aktiver Nährstoff-Transportsysteme zur Überwindung der Eindrin-
gungsresistenz. Ferner ist die Impfstoffentwicklung mit mehr Nachdruck als bisher zu
betreiben. Der rasche Erkenntnis gewinn vor allem bei der Aufklärung der Patho-
genitätsursachen und Pathogenitätsmechanismen durch die Anwendung molekular-
biologischer Methoden wird zu ursächlichen Therapieverfahren führen.
Der Mensch ist Teil eines Ökosystems, zu dem Bakterien gehören. Er ist nicht nur
ständig Bakterien aus der Umwelt ausgesetzt, sondern enthält auch mehr Bakterien als
eigene Zellen. Humanen Bakterien, Viren und Protozoen ging es noch nie so gut wie
heute. Sechs Milliarden Menschen sind ein phantastischer Nährboden. Einmal ent-
standene Antibiotika-resistente Keime leben wie im Schlaraffenland und können sich
in der Tierwelt wie im Menschen vermehren. Die Evolutionsgeschwindigkeit ist vor
allem eine Funktion der Populationsgröße und der Vermehrungsgeschwindigkeit und
beide sind bei Bakterien immens hoch. Megastädte und die Massentierhaltung bilden
für Mikroben ein Eldorado. Darüber hinaus sorgen der internationale Reiseverkehr
und der weltweite Vertrieb von Nahrungsmitteln für die Verbreitung der Mikroben.
Da Mikroben sehr viel schneller evolvieren als der Mensch, werden die natürlichen
Abwehrmechanismen nicht ausreichen, um sich gegen Mikroben zu schützen. Die
Menschheit muß sich aktiv wehren, wie dies bei den Pocken durch eine weltweite
Impfaktion in den 70er Jahren gelang und bis zum Jahr 2005 für die Kinderlähmung
erreicht sein sollte. Daß solche Erfolge aber nicht selbstverständlich sind, zeigen die
seit über einem Jahrzehnt laufenden enormen Bemühungen, einen Impfstoff gegen das
HIV zu entwickeln, bisher ohne Erfolg. Was immer entdeckt und in die Praxis umge-
setzt wird, die Mikroben werden uns voraus sein und wir werden meist reagieren und
nicht agieren. Auch mit der weitgehend künstlichen Welt, die wir geschaffen haben,
werden wir uns der Auseinandersetzung mit den Mikroben nicht entziehen können.