22. Juli 2000
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Dihle betreute Dissertation über die Ideenlehre des Rhetoriklehrers Hermogenes von
Tarsos, mit der ich 1961 promoviert wurde, bewegte sich zwar noch in für Klassische
Philologen üblichen Bahnen, aber mein Interesse galt schon damals weitaus mehr der
Papyrologie. Meine Erfahrung in dieser Disziplin und Koenens Fürsprache trugen
sicherlich dazu bei, daß ich nach der Promotion bei Albrecht Dihle eine Assistenten-
stelle bekam.
Der Papyrologie verdankte ich dann auch eine Wendung in der privaten Sphäre und
erste - man könnte sagen „familiäre“ - Beziehungen nach Heidelberg. Durch den tra-
gischen Tod Peter Sattlers war die Assistentenstelle an der Heidelberger Papyrus-
sammlung vakant geworden. Es gab zu jener Zeit noch kein selbständiges Institut für
Papyrologie in Heidelberg, sondern die Sammlung war Bestandteil der Universitäts-
bibliothek und wurde von Wissenschaftlern betreut, welche eine Kommission der
Heidelberger Akademie der Wissenschaften bestellte. Franz Dirlmeier, der Vorsitzen-
de der Kommission, wandte sich in dieser Situation an Reinhold Merkelbach in Köln
mit der Frage, ob er wohl einen Nachfolger für Sattler wisse. Merkeibachs Wahl fiel
auf eine soeben promovierte Schülerin, deren Handikap aber war, daß sie bis zu die-
sem Augenblick noch nie auch nur einen Blick auf einen Papyrus geworfen hatte. Es
wurde beschlossen, sie in einem Schnellkurs in die Arcana der Disziplin einzuweihen,
und als ihr Lehrmeister wurde ich auserkoren. Wir absolvierten dieses privatissime mit
doppeltem Erfolg: Sie wurde eine Papyrologin, und später meine Frau.
Das nächste entscheidende Ereignis war, daß Koenen 1962 ein DFG-Projekt bewil-
ligt bekam, das die Edition der in Kairo verbliebenen Papyri des Tura-Fundes zum
Ziel hatte. Ich sollte gemeinsam mit ihm dort arbeiten, und weil die vorhin erwähnte
Dame nicht allein in Deutschland bleiben wollte, heirateten wir kurz entschlossen.
Zusammen mit Koenen begannen wir die Arbeit an Didymos’ Hiobkommentar, und
damit war unser beider Lebensthema gefunden. Denn bei der Arbeit fanden wir
schnell, daß Auszüge aus diesem Kommentar schon durch die mittelalterliche Kate-
nenüberlieferung bekannt und im Jahre 1637 gedruckt worden waren, aber die Qua-
lität des Texts der Katenenfragmente war - wie der Papyrus uns bewies - miserabel.
Wir verschafften uns Filme von Katenenhandschriften zum Buch Hiob, und deren
Kontrolle ergab, daß manche von ihnen einen viel zuverlässigeren Text enthielten; die
gedruckte Katene war offenbar eine späte, den Wortlaut verfälschende Überarbeitung.
Ferner wurden wir ungläubig staunend darauf aufmerksam, daß drei ebenfalls in den
Katenen exzerpierte griechische Hiobkommentare des 4. bis 6. Jhs. handschriftlich
zwar vollständig erhalten, aber noch nie gedruckt worden waren. Wie konnte es sein,
daß die Philolo gie jährlich Hunderte und Aberhunderte von Artikeln über wenige
klassische Autoren produzierte und komplette Werke gänzlich unbeachtet ließ, nur
weil sie aus christlicher Zeit stammten! Dem wollten wir abhelfen und dachten in
unserer Naivität, das Programm der Edition der drei Kommentare und der älteren
Katene müsse sich in vielleicht fünf Jahren bewältigen lassen. Statt der fünf Jahre wur-
den es vierzig. Der dritte und letzte Textband der Katenenedition ist vor wenigen
Wochen erschienen.
Natürlich hatte diese Editionstätigkeit, obwohl ursprünglich durch Beschäftigung
mit einem Papyrusbuch ausgelöst, mit Papyrologie überhaupt nichts mehr zu tun,
doch blieb Papyrologie weiterhin mein zweites Bein, man könnte sagen mein Stand-
bein, weil es mir schließlich zu einer bezahlten Stellung hier in Heidelberg verhalf.
Dies kam so: Als wir von Kairo zurückgekehrt waren, wandte ich mich in Köln einer
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Dihle betreute Dissertation über die Ideenlehre des Rhetoriklehrers Hermogenes von
Tarsos, mit der ich 1961 promoviert wurde, bewegte sich zwar noch in für Klassische
Philologen üblichen Bahnen, aber mein Interesse galt schon damals weitaus mehr der
Papyrologie. Meine Erfahrung in dieser Disziplin und Koenens Fürsprache trugen
sicherlich dazu bei, daß ich nach der Promotion bei Albrecht Dihle eine Assistenten-
stelle bekam.
Der Papyrologie verdankte ich dann auch eine Wendung in der privaten Sphäre und
erste - man könnte sagen „familiäre“ - Beziehungen nach Heidelberg. Durch den tra-
gischen Tod Peter Sattlers war die Assistentenstelle an der Heidelberger Papyrus-
sammlung vakant geworden. Es gab zu jener Zeit noch kein selbständiges Institut für
Papyrologie in Heidelberg, sondern die Sammlung war Bestandteil der Universitäts-
bibliothek und wurde von Wissenschaftlern betreut, welche eine Kommission der
Heidelberger Akademie der Wissenschaften bestellte. Franz Dirlmeier, der Vorsitzen-
de der Kommission, wandte sich in dieser Situation an Reinhold Merkelbach in Köln
mit der Frage, ob er wohl einen Nachfolger für Sattler wisse. Merkeibachs Wahl fiel
auf eine soeben promovierte Schülerin, deren Handikap aber war, daß sie bis zu die-
sem Augenblick noch nie auch nur einen Blick auf einen Papyrus geworfen hatte. Es
wurde beschlossen, sie in einem Schnellkurs in die Arcana der Disziplin einzuweihen,
und als ihr Lehrmeister wurde ich auserkoren. Wir absolvierten dieses privatissime mit
doppeltem Erfolg: Sie wurde eine Papyrologin, und später meine Frau.
Das nächste entscheidende Ereignis war, daß Koenen 1962 ein DFG-Projekt bewil-
ligt bekam, das die Edition der in Kairo verbliebenen Papyri des Tura-Fundes zum
Ziel hatte. Ich sollte gemeinsam mit ihm dort arbeiten, und weil die vorhin erwähnte
Dame nicht allein in Deutschland bleiben wollte, heirateten wir kurz entschlossen.
Zusammen mit Koenen begannen wir die Arbeit an Didymos’ Hiobkommentar, und
damit war unser beider Lebensthema gefunden. Denn bei der Arbeit fanden wir
schnell, daß Auszüge aus diesem Kommentar schon durch die mittelalterliche Kate-
nenüberlieferung bekannt und im Jahre 1637 gedruckt worden waren, aber die Qua-
lität des Texts der Katenenfragmente war - wie der Papyrus uns bewies - miserabel.
Wir verschafften uns Filme von Katenenhandschriften zum Buch Hiob, und deren
Kontrolle ergab, daß manche von ihnen einen viel zuverlässigeren Text enthielten; die
gedruckte Katene war offenbar eine späte, den Wortlaut verfälschende Überarbeitung.
Ferner wurden wir ungläubig staunend darauf aufmerksam, daß drei ebenfalls in den
Katenen exzerpierte griechische Hiobkommentare des 4. bis 6. Jhs. handschriftlich
zwar vollständig erhalten, aber noch nie gedruckt worden waren. Wie konnte es sein,
daß die Philolo gie jährlich Hunderte und Aberhunderte von Artikeln über wenige
klassische Autoren produzierte und komplette Werke gänzlich unbeachtet ließ, nur
weil sie aus christlicher Zeit stammten! Dem wollten wir abhelfen und dachten in
unserer Naivität, das Programm der Edition der drei Kommentare und der älteren
Katene müsse sich in vielleicht fünf Jahren bewältigen lassen. Statt der fünf Jahre wur-
den es vierzig. Der dritte und letzte Textband der Katenenedition ist vor wenigen
Wochen erschienen.
Natürlich hatte diese Editionstätigkeit, obwohl ursprünglich durch Beschäftigung
mit einem Papyrusbuch ausgelöst, mit Papyrologie überhaupt nichts mehr zu tun,
doch blieb Papyrologie weiterhin mein zweites Bein, man könnte sagen mein Stand-
bein, weil es mir schließlich zu einer bezahlten Stellung hier in Heidelberg verhalf.
Dies kam so: Als wir von Kairo zurückgekehrt waren, wandte ich mich in Köln einer