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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2000 — 2001

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Sitzungen

Die Wissenschaft nahm von dieser Erweiterung des Horizontes gebührend Kennt-
nis. Schon Poseidonios im 1. Jh. v. C. korrigierte das Bild von den indischen Süd-
küsten. Ptolemaios, im 2. Jh. n. C., vermochte schon ein einigermassen zutreffendes
Bild Indiens zu zeichnen und suchte die Lage Hinterindiens und Chinas zu erfassen,
und zwar, nach eigenen Angaben, vornehmlich auf der Grundlage der Berichte und
Aufzeichnungen von Kapitänen und Fernhändlern. Gerade aus Indien verfügte er
offenbar über zahlreiche Orts- und Routenangaben.
Zu dieser durch viele Zeugnisse belegten, offenbar recht detaillierten Kenntnis des
indischen Subkontinentes, über die man in der Gesellschaft der Kaiserzeit verfügte,
scheint es garnicht zu passen, dass in den literarischen, mit stilistischen Ansprüchen
verfassten Texten Indien immer nur als das Land begegnet, das Alexander bezwang
und Megasthenes beschrieb. Die Indien-Monographie Arrians, eines sehr gebildeten
Mannes und hohen Beamten im 2. Jh. n. C., ist ausdrücklich als Ergänzung seiner -
von kluger Quellenkritik zeugender - Alexandergeschichte verfasst. Arrian beschreibt
dann neben dem Indusgebiet auch die Gangesebene, die Alexander nie betrat, wo sich
aber in der Zeit um 300 v. C. Megasthenes, der Klassiker der Indienliteratur, als
Gesandter aufhielt. Der Süden, das wichtigste Zielgebiet des kaiserzeitlichen Indien-
handels, bleibt dagegen unberücksichtigt. Offenbar zählte im literarischen Leben der
Kaiserzeit nur das „alte“ Indien, nicht das Land der alltäglichen Erfahrung.
Diese Diskrepanz zwischen dem aktuellen Kenntnisstand und dem für das
Bildungssystem massgebenden charakterisiert einen wesentlichen Zug des kaiserzeit-
lichen Klassizismus. Nicht die vielen Motive aus älterer Überlieferung, die Indien als
Land der tausend Wunder schildern und in subliterarisch-vulgären Texten dominieren,
spielten dabei die Hauptrolle. Die Gewährsmänner, auf die man sich beschränkte,
waren zumeist Autoren, die trotz aller Fehler und Missverständnisse, die ihnen unter-
liefen, überwiegend nachprüfbare, seriöse Information geben wollten. Vor allem
hatten viele von ihnen ein deutliches Interesse an dem, was sie als indische Philosophie
verstanden. Sie trugen damit zur Charakterisierung Indiens als eines Landes uralter
Weisheit bei. Ihren seit dem 1. Jh. v. C. zunehmend anerkannten Vorbildcharakter
bezogen jene „klassischen“ Texte zwar primär aus Sprache und Stil, doch erwarteten
die Nachahmer darin durchaus auch moralische und inhaltliche Belehrung, denn zwi-
schen Sprachstil und Lebenshaltung sah man eine enge Verbindung.
Klassische Autoritäten zur indischen Landeskunde, die anders als die mathemati-
sche Geographie zur Literatur, nicht zur Wissenschaft gerechnet wurde, waren, wie
gesagt, die Alexanderhistoriker und die frühhellenistischen Diplomaten. Strabon, am
Ende des 1. Jh. v. C., versagt einem Historiker, der aus grosser zeitlicher und räumli-
cher Nähe von der Invasion Indiens durch die baktrischen Griechen berichtete, den
Glauben, weil seine Angaben sich nicht mit denen des 150 Jahre älteren Megasthenes
decken, referiert aber zustimmend die Information desselben Autors über Ereignisse
in Zentralasien, denn für dieses Gebiet gab es keinen älteren „Klassiker“. Derselbe
Strabon meint auch, von den ungebildeten Kapitänen, die alljährlich mit dem Monsun
nach Indien segelten, könne man nichts Wissenswertes erwarten. Angesichts dieser
Starre der herrschenden und nur gelegentlich in Frage gestellten klassistischen Bildung
sind die Fortschritte in Wissenschaft, Technik, Verkehr, Handel, Administration und
Militärwesen, welche auch die Kaiserzeit brachte, um so erstaunlicher.
 
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