Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2000 — 2001

Citation link: 
https://digi.hadw-bw.de/view/jbhadw2000/0097
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
108

Sitzungen

Jahr vor dem Abschluß selbst 4 jüngere Doktoranden betreuend (nur mit solchen Sub-
strukturen konnte das ML-System erfolgreich überleben).
Was waren meine wissenschaftlichen Interessen in dieser Zeit? Ich fasse sie in 3 Teil-
gebiete bis zum Jahr 1983 zusammen. Das erste handelt über Atomphysik, also die
Physik der Elektronenhülle. Speziell ging es um die Ionisation innerer Elektronen-
schalen, z.B. der innersten (K-) Schale, beim langsamen Durchdringen der Hüllen
zweier Atome in einem Stoßprozeß. Als beschleunigte Atome verwendeten wir in
München Spaltfragmente mit der ursprünglichen Geschwindigkeit, die der Prozeß der
Uranspaltung aufprägt; später in Heidelberg gab es dann die ersten Schwerionenbe-
schleuniger, und alles wurde viel bequemer und präziser. Wir lernten etwas Unerwar-
tetes, nämlich eine enorme Überhöhung der lonisationswahrscheinlichkeit, also der
Wahrscheinlichkeit, em inneres Elektron aus dem Gesamtverband herauszulösen,
immer dann, wenn die Bindungsenergien der Elektronen in den inneren Schalen der
beiden Stoßpartner übereinstimmten (in der Physikersprache: bei „Entartung“ der
entsprechenden Zustände). Wir entwickelten das Konzept der Quasiatome und der
zugehörigen Korrelationsdiagramme. Nach dreijährigem Schlummern durch Publika-
tion am falschen Ort entstand schließlich eine ganze Forschungsindustrie auf diesem
Gebiet, die über zwanzig Jahre hinweg an vielen Schwerionenbeschleunigern Früchte
trug. Die potentiell interessanteste Frucht, die Formierung von Quasiatomen mit
Ordnungszahlen von 184 (2mal Uran) und der zugehörige Nachweis des vorher-
gesagten „Zusammenbruchs des neutralen Vakuums“ in den hier vorliegenden „über-
kritischen“ elektrischen Feldern konnte leider wegen der enormen experimentellen
Schwierigkeiten bis heute nicht geerntet werden; vielleicht gelingt's ja noch.
Das zweite Teilgebiet handelt über Kernphysik, speziell die Physik der Spaltung
von Atomkernen. Entdeckt von Hahn und Straßmann im Jahre 1938, stellte sich die
Kernspaltung im Lichte der Kernstruktur-Erkenntnisse der fünfziger und sechziger
Jahre als überaus komplizierter Prozeß heraus, ungeachtet des Erfolgs der frühen,
oben schon zitierten dramatischen Anwendungen. Die Forschungsarbeiten in Kanada,
Grundlage meiner Habilitationsschrift, gehörten zu den ersten experimentellen Hin-
weisen darauf, daß die von S. Polikanov 1962 in Dubna gefundenen „Spaltungsiso-
mere“ wirklich Neuland in der Kernstrukturphysik bedeuteten. Im Jahre 1972 gelang
uns der Durchbruch: wir konnten zeigen, daß spaltende Kerne (darunter ausdrücklich
auch die technologisch relevanten Uran- und Plutoniumisotope) während der zuneh-
menden Elongation einen langlebigen Zwischenzustand einnehmen können, bei dem
die Kerngestalt ein Achsenverhältnis von exakt 2:1 besitzt. Dies bestätigte das genera-
lisierte Schalenmodell der Atomkerne von V. Strutinskii, in dem die berühmten „magi-
schen“ Nukleonenzahlen von Kernen mit Kugelgestalt (1949 von M. Goeppert-Mayer
und H. Jensen in Heidelberg gedeutet) durch ganz andere magische Zahlen ersetzt
werden müssen, wenn die Kerngestalt 2:1 beträgt, und noch wieder andere für 3:1,
wobei sich Kerne mit ganzzahligen Achsenverhältnissen wie 1:1, 2:1 etc. durch jeweils
besondere Stabilität auszeichnen. Viele Jahre später wurden zahlreiche Kerne mit
einem Achsenverhältnis von 2:1 in speziellen Zuständen mit ungewöhnlich hohen
Eigendrehimpulsen auch in ganz anderen Regionen der Nuklidkarte gefunden, und in
neuester Zeit gelang auch der Nachweis von 3:1. Die Hochspin-Physik ist bis heute
eine der tragenden Säulen moderner Kernstrukturphysik.
Die Inbetriebnahme des Schwerionenbeschleunigers UNILAC bei der Gesellschaft
für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt Mitte der siebziger Jahre führte mich
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften