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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 26. Januar 2013
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Kielmansegg, Peter: Die Gefährdung des europäischen Projektes
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0046
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26. Januar 2013 | 69

hier an seine Grenzen. Das Repräsentationsorgan Parlament kann nicht über die
Bedingungen verfugen, in denen seine eigene Vollmacht wurzelt. Die Entscheidung,
nicht mehr deutsches Volk sondern Teil eines europäischen Volkes sein zu wollen
(in der demokratietheoretischen Bedeutung des Wortes), müssen die Bürger selbst
treffen.
Aber so klar diese Antwort demokratietheoretisch auch sein mag, das prak-
tische Problem liegt darin, dass der Integrationsprozess sich in vielen kleinen irre-
versiblen Schritten vollzieht, von denen keiner, für sich genommen, im vorhinein als
der entscheidende erkennbar ist, die in der Summe aber, wie sich im Rückblick
zeigt, faktisch den Übergang des Selbstregierungsrechtes auf ein neues Subjekt her-
beigeführt haben können. Wenn diese Abfolge den Bürgern auch noch als eine
Sequenz von Zwangsläufigkeiten, die als alternativlos hinzunehmen ist, dargestellt
wird, fehlt es dem Integrationsprozess an jeder demokratischen Legitimität. Es ist
höchste Zeit, sich darauf zu besinnen.

HERR PAUL KIRCHHOF HÄLT DAS IMPULSREFERAT:
„Die Gefährdung des europäischen Projektes“.
Die Europäische Union hat sich als Friedensgemeinschaft bewährt, als Wirtschafts-
gemeinschaft Austausch und Begegnung wesentlich erleichtert, als Wertegemein-
schaft zumindest den Anspruch ideeller Zusammengehörigkeit begründet. Das Ideal
eines Europas ohne Grenzen, eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts“ leuchtet ein und bestimmt unser Denken. Doch das im wirtschaftlichen
Markt und Wettbewerb bestimmende Prinzip der Gewinnmaximierung gefährdet
die Kultur des Maßes. Die Mächtigkeit des Finanzmarktes bringt Europäische Union
und Mitgliedsstaaten in Abhängigkeiten. Die Anonymität von Finanztransfers und
Finanzprodukten macht die Akteure unsichtbar und nimmt der Rechtsordnung das
Verantwortungssubjekt. Der Integrationszug der Europäischen Union fährt in hoher
Geschwindigkeit, taucht die Union in das diffuse Licht des Unfertigen, weckt aber
Zweifel an Ziel und Mittel dieses Prozesses.
Wir erleben die Europäische Union als Friedensgemeinschaft und als Binnen-
markt. Sie entfaltet Grundrechte und eine Wertegemeinschaft, stützt sich auf Mit-
gliedstaaten, die in ihrer Struktur einer freiheitlichen, demokratischen, europaoffenen
Organisation gute Voraussetzungen für politisches Handeln bieten. Doch die Staaten
und die Europäische Union können gegenwärtig das Erwerbsstreben ihrer Bürger
nicht in einer rechtlichen Kultur des Maßes binden. Alles Denken ist der Nestroy
zugeschriebenen Frage gewidmet: Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber
warum so wenig? Das Mäßigungsinstrument des Gütermarktes ist die Knappheit der
Güter und des Geldes. Der Verkäufer kann ein Auto nur einmal verkaufen, der Käu-
fer den Kaufpreis nur einmal zahlen. In diesem Gegeneinander entwickelt sich
Tauschgerechtigkeit. Dieses Maß greift im Finanzmarkt kaum noch, weil dort Geld
gegen Geld, Geld gegen Erwartungen und Hoffnungen getauscht werden, das Geld
 
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