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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 26.April 2013
DOI Artikel:
Conard, Nicholas John: Entstanden figürliche Kunst und Musik in Baden-Württemberg?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0054
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26. April 2013

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prüft einige Hypothesen über die Entstehung von Kunst und Musik. Diese Frage ist
eng mit der Frage nach dem Ursprung moderner Verhaltensformen verknüpft.
Wie stellt man fest, wo und wann in der Menschheitsgeschichte Innovationen
entstanden sind? Im Allgemeinen betrachtet man in der Archäologie die ersten Belege
für bestimmte Phänomene als den wahrscheinlichen Ursprungspunkt für die ent-
sprechende Entwicklung. Wenn es um Phänomene geht, die schlecht untersucht
sind, oder wenn die Quellenlage schlecht ist, geht man davon aus, dass im Zuge wei-
terer Geländearbeiten neue Quellen erschlossen werden können und so Jahr für Jahr
die lückenhaften Belege ergänzt werden und mit der Zeit ein belastbares Signal
zustande kommen wird. Ab wann ist die Quellenlage ausreichend, um mit hoher
Wahrscheinlichkeit einen Entstehungsort festzulegen? Oder, vielleicht noch grund-
legender: inwieweit können wir erwarten, dass Phänomene wie Kunst oder Musik
überhaupt einen klaren Ursprung haben? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass sol-
che grundlegenden kulturellen Eigenschaften eine lange und komplexe Entste-
hungsgeschichte haben? Reden wir hier lieber von komplexen, lang andauernden
Prozessen, die eventuell vielfältige Wurzeln in mehreren Regionen haben, oder war
die Entstehung von Kunst und Musik ein Phänomen, das nur einmal stattfand? Hier-
zu gibt es zahlreiche Modelle, die wir jetzt betrachten wollen.
Wir können zwischen monozentrischen und polyzentrischen Modellen unter-
scheiden sowie zwischen Modellen, die eine graduelle Entwicklung und solchen, die
eine schlagartige Entwicklung neuer kultureller Eigenschaften postulieren. In einem
solch kurzen Beitrag können diese Modelle und Hypothesen nur leicht gestreift
werden, aber einige Ideen hierzu sollen mindestens erwähnt werden. Richard Klein
(2000, 2009) vertritt die Meinung, dass moderne Verhaltensformen und ein voll ent-
wickeltes Sprachverhalten durch eine genetische Mutation in Afrika während des
Jungpleistozäns schlagartig entstanden. Diese neuen Fähigkeiten ermöglichten
modernen Menschen aus Afrika die Expansion über die gesamte Welt sowie die
Verdrängung aller archaischen Menschen wie der Neandertaler, der Denisova-Men-
schen und der Flores-Menschen. Sally McBrearty und Alison Brooks (2000) argu-
mentieren für eine graduelle Evolution symbolischer Fähigkeiten in Afrika parallel
zu der Evolution der modernen menschlichen Anatomie, die ebenfalls in Afrika statt-
fand. Laut diesen Autoren gibt es keinen speziellen Zeitpunkt, zu dem die kulturel-
le Modernität entstand. Wir sollten uns stattdessen einen langsamen Prozess vorstel-
len. Zahlreiche Nachweise von Innovationen einschließlich abstrakter Darstellungen
in Form geometrisch verzierter Ockerstücke aus der Blombos-Höhle und gravierter
Straußeneierschalen aus dem Diepkloof-Felsdach, beide in Südafrika, dazu viele
Belege für Schmuck in Form durchlochter mariner Schnecken aus Fundplätzen in
Südafrika und Nordafrika unterstützen diese Position.
Eine andere Variante dieses Out of Africa-Modells kommt von John Parking-
ton, der postuliert, dass die Inanspruchnahme mariner Ressourcen und Omega
3-Fettsäuren, wie sie zum Beispiel in Muscheln vorhanden sind, die Modernität her-
vorbrachte (Parkington 2001, 2003). Nach seiner These steigerte die Aufnahme
mariner Nahrungsressourcen die Enzephalisation und führte auch zu einem besse-
ren Gesundheitszustand von Mutter und Kind vor allem in der pränatalen und post-
 
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