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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Öffentliche Gesamtsitzung an der Universität Ulm am 14. Dezember 2013
DOI article:
Debatin, Klaus-Michael: Ethische Fragen der modernen Medizin
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0102
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14. Dezember 2013

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liehe Beschränktheit des individuellen Willens durch die individuellen Gehirnfunk-
tionen erhebliche ethische Implikationen bei der Diskussion von Verantwortung und
Schuld, gegebenenfalls bis hin zur Feststellung neuer Rechtsnormen.
5. Entscheidungen am Ende des Lebens, Unsterblichkeit us. Endlichkeit
Das Ende des Lebens kann beim alten Menschen ein biologisches Ende mit Zusam-
menkommen verschiedener zunehmend defekter Funktionen von Organen sein
oder aber ein plötzlich eintretendes Ereignis, ein Unfall, eine abrupte Störung der
Durchblutung (Herzinfarkt) oder Gehirn (Schlaganfall) mit entsprechender vitaler
Beeinträchtigungen und der Notwendigkeit, intensiv-medizinischer Maßnahmen.
Darf die Medizin alles, was sie kann? Dabei stellt sich immer auch die Frage, was ist
lebenswertes Leben? Beim alten Menschen werden die Meisten akzeptieren, dass
beim zunehmenden Versagen verschiedener Organfunktionen Intensivmaßnahmen
nur begrenzt sinnvoll sind, auch wenn dies medizinisch zumindest kurzfristig mög-
lich ist. Ganz anders stellt sich die Situation bei einem Neugeborenen dar, das
während der Geburt ein schweres Geburtstrauma erlitten hat, das z. B. zu einer Hirn-
blutung führte. Grundsätzlich kann man bei Säuglingen/Kleinkindern bis hin zu
jungen Erwachsenen Vitalfunktionen oft sehr viel länger als bei alten Menschen auf-
recht erhalten. Wir wissen aus vielen Situationen, z.B. Ertrinkungsunfällen mit
Unterkühlung, dass sogar nach länger dauerndem Herzstillstand und Wiederbele-
bungsmaßnahmen nahezu eine Restitutio ad integrum möglich ist. Ich erinnere mich
an Kinder, die im Sommer bei Badeunfällen an Baggerseen offensichtlich minuten-
lang leblos im Wasser waren und dann durch entsprechende Notfall Versorgungen
und Intensivmaßnahmen auf der Intensivstation sogar nach einigen Tagen an der
Hand ihrer Eltern fröhlich lachend die Klinik verlassen haben.
Grundsätzlich stehen wir als Ärzte in jeder dieser Situationen, insbesondere bei
Kindern, vor dem Wunsch, dem Verlangen, der Forderung der Eltern, in jedem Fall
und um jeden Preis das Leben des Kindes zu retten, zu erhalten und eventuelle Defi-
zite durch die Maßnahmen der modernen Medizin wiederherzustellen. Auch der
Hinweis, dass alle Maßnahmen der modernen Medizin nichts mit einer Reparatur-
werkstatt zu tun haben, geht häufig fehl. Hier muss auf dem Hintergrund gesicher-
ter Daten entschieden werden, welche Haltung die Ärzte einnehmen und diese muss
dann immer wieder mit den Eltern besprochen werden. Ich selbst vertrete die Auf-
fassung, dass das Akzeptieren der Grenzen der Medizin in diesen Fällen für alle Betei-
ligten ein langwieriger Prozess ist. Eine rein rationale Faktenvermittlung über pro-
zentuale Prognosen hilft hier wenig weiter (Trias: Sterben lassen = Natur ihren Lauf
lassen; Eingreifen = Leben = Atmung, Herz-Kreislauffunktion ggf. künstlich auf-
rechterhalten; Therapie beenden = Geräte abstellen). Für viele ist die Beendigung
intensiv-medizinischer Maßnahmen auch ein religiös-ethisches Problem. In der
Behandlung vieler Patienten aus dem arabischen Raum habe ich gelernt, dass diese
das Sterben per se auch bei einem Kind gut akzeptieren können. Was hier aus reli-
giösen Gründen nicht akzeptiert werden kann, ist die aktive Beendigung intensiv-
medizinischer Maßnahmen solange das Herz schlägt.
 
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