14. Dezember 2013 | 129
Ein gesellschaftliches Umdenken, das die Augen vor der oft bitteren Wirklich-
keit des Sterbens nicht verschließt, muss radikaler ansetzen, als es die Forderung nach
einer Freigabe von Euthanasie und ärztlicher Suizidbeihilfe empfiehlt. Die zahlrei-
chen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich ehrenamtlich in der Hospizbewegung
engagieren, zeigen, welche Art von Hilfe Sterbende vor allem benötigen. Wenn sie
dank guter medizinischer Versorgung und mitmenschlicher Begleitung ihr Leben bis
zuletzt in einer persönlichen Umgebung führen können, äußern sie nicht mehr den
Wunsch, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden oder getötet zu werden. Der Ausbau
palliativmedizinischer Zentren und außerklinischer Pflegehospize, die den Wechsel
zwischen häuslicher Umgebung und stationärer Pflege erleichtern, stellt daher den
richtigen Weg dar, wie eine humane Gesellschaft mit den Sterbenden in ihrer Mitte
umgehen sollte.
Töten und Sterbenlassen
Das Begriffspaar von „aktiv“ und „passiv“, von Töten und Sterbenlassen bleibt für
den Arzt eine entscheidende Orientierungshilfe im Schnittfeld zwischen Lebens-
schutz und Tötungsverbot, die ihm hilft, die Reichweite und Grenze seines ärzt-
lichen Auftrages zu erkennen. Der theoretische Vergleich beider Handlungstypen
fuhrt sowohl hinsichtlich der Intentionalität des Handelnden als auch der Kausalität
in der Herbeiführung des Todes zu wichtigen Differenzierungen, die in einer ethi-
schen Beurteilung nicht unterlaufen werden dürfen. Direktes Handlungsziel der
„passiven“ Euthanasie sind die größtmögliche Freiheit des Sterbenden von Angst-
und Schmerzzuständen, der Abbruch einer das Leiden verlängernden Behandlung
sowie der Verzicht auf weitere medizinische Interventionen, die nicht mehr durch
das nunmehr palliative Behandlungsziel indiziert sind, wohingegen durch die „akti-
ve“ Euthanasie der Tod direkt und unmittelbar herbeigeführt wird. Entsprechend
stellt der Abbruch kurativer Behandlungsformen im ersten Fall zwar eine notwendi-
ge, doch nicht hinreichende Bedingung für den Eintritt des Todes dar, während im
zweiten Fall der Tod im Sinne zureichender Antezedenz-Bedingungen durch den
Arzt herbeigeführt wird.1
Auch wenn die Tragweite und die präzise begriffliche Abgrenzung dieser
Unterscheidung innerhalb der wissenschaftlichen Ethik umstritten bleiben, kommt
ihr in dem Interaktionsgefüge zwischen Arzt und Patient auf der einen sowie Arzt
und Angehörigen auf der anderen Seite hohe Bedeutung zu. Ein unheilbar Kranker,
der nach einem künstlichen Reanimationsversuch den Wunsch äußert, diesen bei
einem weiteren Herzstillstand nicht zu wiederholen, bittet darum, dass der Arzt ihn
sterben lässt, wenn seine Zeit gekommen ist. Er bittet, die ihm gesetzte Grenze zu
achten, aber er will nicht, dass der Arzt diese Grenze von sich aus setzt und ihn tötet.
Der Arzt, der umgekehrt einen unheilbaren Patienten sterben lässt und eine aus-
1 F. Ricken, Handeln und Unterlassen. In: Lexikon der Bioethik (7/y. von W. Korff u.a.), Gütersloh
1998,200.
Ein gesellschaftliches Umdenken, das die Augen vor der oft bitteren Wirklich-
keit des Sterbens nicht verschließt, muss radikaler ansetzen, als es die Forderung nach
einer Freigabe von Euthanasie und ärztlicher Suizidbeihilfe empfiehlt. Die zahlrei-
chen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich ehrenamtlich in der Hospizbewegung
engagieren, zeigen, welche Art von Hilfe Sterbende vor allem benötigen. Wenn sie
dank guter medizinischer Versorgung und mitmenschlicher Begleitung ihr Leben bis
zuletzt in einer persönlichen Umgebung führen können, äußern sie nicht mehr den
Wunsch, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden oder getötet zu werden. Der Ausbau
palliativmedizinischer Zentren und außerklinischer Pflegehospize, die den Wechsel
zwischen häuslicher Umgebung und stationärer Pflege erleichtern, stellt daher den
richtigen Weg dar, wie eine humane Gesellschaft mit den Sterbenden in ihrer Mitte
umgehen sollte.
Töten und Sterbenlassen
Das Begriffspaar von „aktiv“ und „passiv“, von Töten und Sterbenlassen bleibt für
den Arzt eine entscheidende Orientierungshilfe im Schnittfeld zwischen Lebens-
schutz und Tötungsverbot, die ihm hilft, die Reichweite und Grenze seines ärzt-
lichen Auftrages zu erkennen. Der theoretische Vergleich beider Handlungstypen
fuhrt sowohl hinsichtlich der Intentionalität des Handelnden als auch der Kausalität
in der Herbeiführung des Todes zu wichtigen Differenzierungen, die in einer ethi-
schen Beurteilung nicht unterlaufen werden dürfen. Direktes Handlungsziel der
„passiven“ Euthanasie sind die größtmögliche Freiheit des Sterbenden von Angst-
und Schmerzzuständen, der Abbruch einer das Leiden verlängernden Behandlung
sowie der Verzicht auf weitere medizinische Interventionen, die nicht mehr durch
das nunmehr palliative Behandlungsziel indiziert sind, wohingegen durch die „akti-
ve“ Euthanasie der Tod direkt und unmittelbar herbeigeführt wird. Entsprechend
stellt der Abbruch kurativer Behandlungsformen im ersten Fall zwar eine notwendi-
ge, doch nicht hinreichende Bedingung für den Eintritt des Todes dar, während im
zweiten Fall der Tod im Sinne zureichender Antezedenz-Bedingungen durch den
Arzt herbeigeführt wird.1
Auch wenn die Tragweite und die präzise begriffliche Abgrenzung dieser
Unterscheidung innerhalb der wissenschaftlichen Ethik umstritten bleiben, kommt
ihr in dem Interaktionsgefüge zwischen Arzt und Patient auf der einen sowie Arzt
und Angehörigen auf der anderen Seite hohe Bedeutung zu. Ein unheilbar Kranker,
der nach einem künstlichen Reanimationsversuch den Wunsch äußert, diesen bei
einem weiteren Herzstillstand nicht zu wiederholen, bittet darum, dass der Arzt ihn
sterben lässt, wenn seine Zeit gekommen ist. Er bittet, die ihm gesetzte Grenze zu
achten, aber er will nicht, dass der Arzt diese Grenze von sich aus setzt und ihn tötet.
Der Arzt, der umgekehrt einen unheilbaren Patienten sterben lässt und eine aus-
1 F. Ricken, Handeln und Unterlassen. In: Lexikon der Bioethik (7/y. von W. Korff u.a.), Gütersloh
1998,200.