14. Dezember 2013
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leistung oder auch als Töten durch Unterlassen bezeichnet. Wer die These von der
intentionalen Parität zwischen Töten auf Verlangen und Sterbenlassen teilt, müsste
folgerichtig das Handeln eines Arztes, der einen unheilbar Kranken sterben lässt und
das Handeln der Mutter, die ihr Kind verhungern lässt, auf eine Stufe stellen. Eine
solche Gleichsetzung ist jedoch unannehmbar, weil sie einen entscheidenden Unter-
schied zwischen den beiden Handlungskonstellationen übersieht: Der Arzt verfügt in
medizinisch aussichtsloser Lage über kein adäquates und zumutbares Mittel mehr, das
den Tod des Patienten abwenden könnte, während es der Mutter ohne weiteres
möglich wäre, ihr Kind nicht verhungern zu lassen.
Auch die kausale Rolle des Arztes wird verzeichnet, wenn man den Verzicht
auf eine Weiterbehandlung zum Schaden des Patienten als gleichgewichtige Beteili-
gung an der Ursache des Todes wie im Fall der Tötung auf Verlangen bewertet. Der
Behandlungsabbruch räumt ein Hindernis hinweg, das den Eintritt des Todes bislang
hinauszögerte; ohne dieses Hindernis führt der Krankheitsverlaufschneller zum Tod,
als es bei einer Fortführung der Behandlung voraussichtlich der Fall wäre. Das
Unterlassen des Arztes ist daher eine notwendige, aber nicht die hinreichende Bedin-
gung für den Eintritt des Todes, dessen eigentliche Ursache die Krankheit selbst ist.
Der Patient stirbt an seiner Krankheit, nicht durch das Handeln des Arztes. Hinzu-
gefügt werden muss, dass der Arzt auch beim Abbruch einer kurativen Behandlung
dem Sterbenden weiterhin durch palliative Maßnahmen gegen Schmerzen, Angst
und innere Unruhe beisteht; das Unterlassen bezieht sich nur auf die Fortführung
einer kurativen Therapie, die ihr Ziel nicht mehr erreichen kann, nicht aber auf die
ärztliche Fürsorgepflicht als solche.4
Anders verhält es sich dagegen bei der Tötung auf Verlangen, bei der der Arzt
den Tod des Patienten als ein Mittel zur Herbeiführung eines besseren Zustandes
(der Ruhe, der Leid- und Schmerzfreiheit) willentlich herbeiführt. Dabei ist die kau-
sale Rolle des Arztes eindeutig eine andere als beim Sterbenlassen. In der Reihe
sämtlicher Antezedenzbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Tod eintreten
kann, ist sein Handeln die letzte, vollständige und auslösende Ursache des Todes.
Zwar spielt auch der progrediente Krankheitsverlauf eine kausale Rolle, da der Arzt
den Tod des Patienten nur als Mittel zur Abwendung des Leides will, das durch die
Krankheit verursacht wird. Dennoch stirbt der Patient nicht unmittelbar an seiner
Krankheit, sondern weil er vom Arzt auf sein Verlangen hin getötet wird; dessen
Handeln genügt, um den Tod herbeizuführen.
Blicken wir von den konkreten medizinischen Fallkonstellationen nochmals
auf die Unterscheidung zwischen Handeln und Unterlassen als solche zurück, so
zeigt sich: In moralischer Hinsicht ist dieser Unterschied nur dann bedeutungslos,
wenn der Unterlassende über eine wirksame und zugleich moralisch akzeptable
Alternative verfügt, die er absichtlich nicht wählt. Wo dies dem Unterlassenden wie
bei der willentlichen Nicht-Verhinderung eines Verbrechens oder dem Bestehenlas-
Die Bundesärztekammer spricht deshalb vom Wechsel des Behandlungsziels, das nach dem
Abbruch kurativer Therapien durch den Auftrag der Leidminderung definiert ist.
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leistung oder auch als Töten durch Unterlassen bezeichnet. Wer die These von der
intentionalen Parität zwischen Töten auf Verlangen und Sterbenlassen teilt, müsste
folgerichtig das Handeln eines Arztes, der einen unheilbar Kranken sterben lässt und
das Handeln der Mutter, die ihr Kind verhungern lässt, auf eine Stufe stellen. Eine
solche Gleichsetzung ist jedoch unannehmbar, weil sie einen entscheidenden Unter-
schied zwischen den beiden Handlungskonstellationen übersieht: Der Arzt verfügt in
medizinisch aussichtsloser Lage über kein adäquates und zumutbares Mittel mehr, das
den Tod des Patienten abwenden könnte, während es der Mutter ohne weiteres
möglich wäre, ihr Kind nicht verhungern zu lassen.
Auch die kausale Rolle des Arztes wird verzeichnet, wenn man den Verzicht
auf eine Weiterbehandlung zum Schaden des Patienten als gleichgewichtige Beteili-
gung an der Ursache des Todes wie im Fall der Tötung auf Verlangen bewertet. Der
Behandlungsabbruch räumt ein Hindernis hinweg, das den Eintritt des Todes bislang
hinauszögerte; ohne dieses Hindernis führt der Krankheitsverlaufschneller zum Tod,
als es bei einer Fortführung der Behandlung voraussichtlich der Fall wäre. Das
Unterlassen des Arztes ist daher eine notwendige, aber nicht die hinreichende Bedin-
gung für den Eintritt des Todes, dessen eigentliche Ursache die Krankheit selbst ist.
Der Patient stirbt an seiner Krankheit, nicht durch das Handeln des Arztes. Hinzu-
gefügt werden muss, dass der Arzt auch beim Abbruch einer kurativen Behandlung
dem Sterbenden weiterhin durch palliative Maßnahmen gegen Schmerzen, Angst
und innere Unruhe beisteht; das Unterlassen bezieht sich nur auf die Fortführung
einer kurativen Therapie, die ihr Ziel nicht mehr erreichen kann, nicht aber auf die
ärztliche Fürsorgepflicht als solche.4
Anders verhält es sich dagegen bei der Tötung auf Verlangen, bei der der Arzt
den Tod des Patienten als ein Mittel zur Herbeiführung eines besseren Zustandes
(der Ruhe, der Leid- und Schmerzfreiheit) willentlich herbeiführt. Dabei ist die kau-
sale Rolle des Arztes eindeutig eine andere als beim Sterbenlassen. In der Reihe
sämtlicher Antezedenzbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Tod eintreten
kann, ist sein Handeln die letzte, vollständige und auslösende Ursache des Todes.
Zwar spielt auch der progrediente Krankheitsverlauf eine kausale Rolle, da der Arzt
den Tod des Patienten nur als Mittel zur Abwendung des Leides will, das durch die
Krankheit verursacht wird. Dennoch stirbt der Patient nicht unmittelbar an seiner
Krankheit, sondern weil er vom Arzt auf sein Verlangen hin getötet wird; dessen
Handeln genügt, um den Tod herbeizuführen.
Blicken wir von den konkreten medizinischen Fallkonstellationen nochmals
auf die Unterscheidung zwischen Handeln und Unterlassen als solche zurück, so
zeigt sich: In moralischer Hinsicht ist dieser Unterschied nur dann bedeutungslos,
wenn der Unterlassende über eine wirksame und zugleich moralisch akzeptable
Alternative verfügt, die er absichtlich nicht wählt. Wo dies dem Unterlassenden wie
bei der willentlichen Nicht-Verhinderung eines Verbrechens oder dem Bestehenlas-
Die Bundesärztekammer spricht deshalb vom Wechsel des Behandlungsziels, das nach dem
Abbruch kurativer Therapien durch den Auftrag der Leidminderung definiert ist.