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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Öffentliche Gesamtsitzung an der Universität Ulm am 14. Dezember 2013
DOI Artikel:
Schockenhoff, Eberhard: Ethik in der modernen Medizin: Was heißt Sterben in Würde?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0109
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132 | SITZUNGEN

sen eines Irrtums unterstellt werden kann, ist sein Nicht-Handeln moralisch ebenso
wie ein aktives Tätigwerden zu beurteilen. Nur dann gilt der Grundsatz, dass der
Ausführungsmodus einer Handlung für ihre moralische Bewertung keine Rolle
spielt.5 Wo der Unterlassende dagegen auf ein aktives Handeln verzichtet, weil er
über keine moralisch vertretbare Alternative verfügt, trägt er für die Folgen seiner
Unterlassung keine Verantwortung. Sein Unterlassen kann dann nicht als bloße
Variante oder andere Ausführungsmodalität ein und derselben Handlung beschrie-
ben werden.Vielmehr gehört in solchen Fällen beides, das Unterlassen wie das Tätig-
werden verschiedenen Handlungstypen an, die — wie das Sterbenlassen und die
Tötung aufVerlangen — auch in moralischer Hinsicht unterschiedlich beurteilt wer-
den müssen.
Schlussbemerkung
Auch in einer Gesellschaft, zu deren sozialen Spielregeln die moralische Akzeptanz
der aktiven Euthanasie gehört, werden nur wenige Menschen die Alternative zur
Annahme des ihnen verfügten Todes als ein heiteres Sterben zur rechten Zeit erfah-
ren. Die Regel wird eher ein im Einklang mit den medizinischen, materiellen und
menschlichen Ressourcen dieser Gesellschaft geplanter Tod sein, dem die Sterben-
den unter der Fahne von Humanität und Menschenwürde ausgeliefert sind. Dage-
gen wahren das Tötungsverbot und seine unbedingte Respektierung im ärztlichen
Handeln sowohl die Würde des Arztes als auch die seines Patienten. Die Bereitschaft,
die in Geburt und Tod verfügten Grenzen hinzunehmen, führt zu keiner Entfrem-
dung des Menschen, über die er sich in der Kraft seiner moralischen Selbstbestim-
mung erheben müsste. Es gehört vielmehr zu seiner Würde als endlichem Wesen, dass
er nicht gegen alle Grenzen rebellieren muss, sondern auch unter extremen Bela-
stungen in ihnen leben und sterben darf. Die Verfügtheiten des Daseins, allem voran
die Last der Krankheit und das Schicksal des Todes, einmal ganz aufheben zu kön-
nen, bleibt ein vergeblicher Traum. Es kann deshalb kein sinnvolles Ziel ärztlichen
Handelns sein, Leid unbedingt und um jeden Preis zu vermeiden. Wohl aber gehört
es zum ärztlichen Auftrag, dem leidenden Menschen bis zum Schluss zur Seite zu
stehen. Wenn man darüber nicht im Ungewissen bleiben muss und sich auf die Zu-
sage wirksamer Hilfe im Sterben verlassen kann, lässt sich auch die Angst vor dem
künftigen Leiden leichter ertragen.

5 Bei medizinischen Entscheidungen am Lebensende ist dies etwa dann der Fall, wenn sich die
Frage stellt, ob der Abbruch einer künstlichen Ernährung dadurch herbeigefuhrt werden soll, dass
eine noch laufende Infusion durch aktives Eingreifen beendet oder aber durch Nichthandeln das-
selbe Ergebnis erreicht wird, indem die leere Flasche nicht gegen eine volle ausgetauscht wird.
Wenn der Abbruch der künstlichen Ernährung nach Würdigung aller Umstände als moralisch
legitim beurteilt werden kann, ist es moralisch unerheblich, ob dies durch Tun oder Nicht-Tun
geschieht.
 
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