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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Mitarbeitervortragsreihe. „Wir forschen. Für Sie“
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Welter, Rüdiger: All You Need Is Love: sagt Goethe
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26. Juni 2013

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es oder zu Gott und die Liebe unter den Menschen kommen in seinen Texten vor
— „Wenn Ihr eben so alt sein werdet als ich, sollt Ihr auch bekennen, dass Gott und
Liebe Synonymen sind!“ — , aber eben in der Regel seinen Figuren in den Mund
gelegt - oder auf einfachste Formeln reduziert, wie als „Inhalt aller Weisheit“ die
dem Evangelisten Johannes zugeschriebenen Worte „Kindlein, hebt euch!”.
Ernster ist es ihm mit der Nächstenliebe, und zwar der tätigen, die als Agape über
bloße Empathie ganz praktisch, zupackend hinausgeht. Kümmere Dich um Deinen
Nächsten, um die Gemeinschaft, in der Du lebst, und meine es nicht nur gut oder
goutiere Dein Mitgefühl, das reicht nicht. Bei der Nächstenliebe erstreckt sich das
Spektrum von der schier grenzenlosen Elternliebe bis zur direkten und diskreten
Unterstützung Bedürftiger, die Goethe, bei strenger Prüfung der Notlage!, großzü-
gig praktizierte. Und auch die Allernächsten kommen nicht zu kurz, dafür sorgt die
partnerschaftliche Solidarität und Fürsorge, die für Goethe den Kern ‘ehelicher
Treue’ ausmacht.
Das durch das Markus-Evangelium (12,31) bekannte Gebot „Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst”, das übrigens ein Thora-Zitat ist, aus dem 3. Buch
Mose, dem sog.‘Levitikon’, nimmt Goethe auch in seinem zweiten Teil ernst: „Wer
hätte mit mir Geduld haben sollen, wenn ich's nicht gehabt hätte?“ Da haben wir
sie wieder, die Geduld, die liebevolle Nachsicht mit sich selber, den eigenen Eigen-
heiten und Schwächen. Ich weiß jetzt nicht mehr genau, welcher von unseren
gegenwärtigen Nationalcomedians es war, ob Mario Barth oder Dieter Nuhr, der als
Fazit einer seiner Miniaturen über die Unterschiede zwischen Mann und Frau die
Devise formulierte „Wir sollen die Frauen nicht verstehen, wir sollen sie lieben!“ So,
meint Goethe, sollten wir es auch mit uns selbst halten: „Übrigens aber ist der
Mensch ein dunkles Wesen ... er weiß wenig von der Welt und am wenigsten von
sich selber. Ich kenne mich auch nicht und Gott soll mich auch davor behüten!“ -
das zu Eckermann, und zu Zelter: „Wenn man mit sich selbst einig ist, ist man es
auch mit andern.“ D.h., man darf sich so nehmen, wie man nun einmal ist - warum
auch immer man nun (mit Nietzsche) „wurde, der man ward“ -, und diese Selbst-
akzeptanz, das Annehmen der eigenen Identität, ist die beste Voraussetzung für das
Geltenlassen des Anderen, andersartiger Individuen, in Geduld und Güte.
Geduld braucht auch, wer (auf gut Süddeutsch) „schafft”, Ausdauer und Hin-
gabe lassen einen die Anforderungen des Berufslebens besser meistern. „Der Kam-
merassessor — Goethes Sohn August — ist in seinem Amte fleißig und behaglich, da
er das Geschäft mit Liebe treibt.“ Liebe und damit einhergehende Leidenschaft
braucht man für jede Unternehmung, wenn sie auch über Schwierigkeiten, Ablen-
kungen und Phasen der Unlust hinweg zum Erfolg geführt werden soll — schließlich
macht Liebe nicht nur „erfinderisch”, sondern sogar „das Unmögliche möglich”. Sie
befeuert das ideelle Streben, etwa nach Freiheit, Gerechtigkeit oder auch Wahrheit
in der Kunst; aber gleichermaßen bei den Verrichtungen der „Werkeltagswelt“ gilt:
Wer mit Liebe zur Sache bei der Sache ist, arbeitet nicht nur ausdauernd, gewissen-
haft und mit höchster Sorgfalt, sondern empfindet dabei auch noch ein besonderes
Glück: „Wer freudig tut und sich des Getanen freut, ist glücklich.“ Die Liebe ist also
auch „beim Schaffen“ eine lohnende Investition. Ja, mit der von ihm wiederholt
 
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