148 | VERANSTALTUNGEN
der zu deuten? Denn gute habe ich gesehen. / Ich möchte gern, dass du an meiner Traumer-
scheinung teilhast“ antwortet bei Theokrit der andere Fischer: „Wie den Fang, so teile
auch alle Träume mit mir!“8 Diesem Imperativ ist Melanchthon Zeit seines Lebens
nachgekommen, wie bereits die über hundert Briefstellen beweisen, an denen er sich
mit seinen Vertrauten über seine oder ihre Träume austauschte. Hinzu kommen
traumtheoretische Äußerungen und exegetische Bemerkungen zu den Traumer-
scheinungen der Bibel.9 Wie Siegfried Bräuer 1997 ausführlich dargelegt hat, galt
Melanchthon unter seinen Zeitgenossen „als Experte für Träume in Theorie und
Praxis“, und zwar zumal als eine ausgeprägte Begabung für prophetisch ausdeutbare
Traumbilder; sein Freund Veit Dietrich formulierte dies dem schwäbischen Refor-
mator Johannes Brenz gegenüber 1546 einmal mit folgenden Worten: „Philipp ist
munteren Geistes. Er hat gesegnete Träume. [...] Du kennst ja die weissagerische Natur bei
diesem unseren Daniel.“10
Mit Melanchthons Angstträumen und anderen irrationalen Komponenten sei-
ner Persönlichkeit ist man über die Jahrhunderte hin sehr unterschiedlich verfahren:
Man hat sie angegriffen oder übergangen, man zeigte sich irritiert oder verspürte ein
gewisses Faszinosum. Die einen haben seine astrologischen und divinatorischen
Interessen und Vorlieben marginalisiert, andere haben gelegentlich sogar versucht
(oder zumindest behauptet), Melanchthons Traum- und Seelenleben mit der
Tiefenpsychologie C. G. Jungs auf den Grund zu kommen.11 Welche Wege zu
Melanchthon der Interpret auch immer einschlagen mag: Er tut gut daran, das
reiche Material von Melanchthons Briefwechsel dabei nicht außer Acht zu lassen.
Und nur in dessen im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften erar-
beiteter und modernen editorischen Standards entsprechender Ausgabe kann er
sicher sein, die Briefe des Reformators in unzensierter und somit authentischer
Form zu lesen. Die an Camerarius gerichteten Briefe Melanchthons etwa folgen hier
exakt den in den beiden Autographen-Kodizes (Cod. Chigi I VIII 293 und 294)
überlieferten Originalen, die im 17. Jahrhundert — vermutlich durch Kauf oder
Schenkung — aus München in den Besitz der römischen Adelsfamilie Chigi gelang-
ten und 1923 mit deren gesamter Bibliothek der Biblioteca Apostolica Vaticana ein-
gegliedert wurden.
8 Theokrit, Eidyllia 21, 29—31. Übersetzung (geringfügig geändert) nach der Ausgabe Theokrit:
Gedichte (griech. und dt.), hrsg. und übers, von Bernd Effe, Düsseldorf/Zürich 1999 (Sammlung
Tusculum), S. 151.
9 Vgl. hierzu Siegfried Bräuer: „... einige aber sind Natürliche, andere Göttliche, wider andere
Teuflische ...“ — Melanchthon und die Träume, in: „Man weiß so wenig über ihn“ — Philipp
Melanchthon. Ein Mensch zwischen Angst und Zuversicht, hrsg. vom Evangelischen Prediger-
seminar Wittenberg, Wittenberg 11997, S. 69—98 (erneut abgedruckt in ders.: Spottgedichte,
Träume und Polemik in den frühen Jahren der Reformation. Abhandlungen und Aufsätze, hrsg.
von Hans-Jürgen Goertz/Eike Wolgast, Leipzig 2000, S. 223—254).
10 Ebd., S. 89f.
11 Vgl. Helmut Hark: Der Traum-Glaube Melanchthons, in: Melanchthons Astrologie. Der Weg der
Sternenwissenschaft zur Zeit von Humanismus und Reformation, Katalog zur Ausstellung vom
15. Sept, bis 15. Dez. 1997 im Reformationsgeschichtl. Museum Lutherhalle Wittenberg, hrsg.
von Jürgen G. H. Hoppmann, Wittenberg 1997, S. 70f.
der zu deuten? Denn gute habe ich gesehen. / Ich möchte gern, dass du an meiner Traumer-
scheinung teilhast“ antwortet bei Theokrit der andere Fischer: „Wie den Fang, so teile
auch alle Träume mit mir!“8 Diesem Imperativ ist Melanchthon Zeit seines Lebens
nachgekommen, wie bereits die über hundert Briefstellen beweisen, an denen er sich
mit seinen Vertrauten über seine oder ihre Träume austauschte. Hinzu kommen
traumtheoretische Äußerungen und exegetische Bemerkungen zu den Traumer-
scheinungen der Bibel.9 Wie Siegfried Bräuer 1997 ausführlich dargelegt hat, galt
Melanchthon unter seinen Zeitgenossen „als Experte für Träume in Theorie und
Praxis“, und zwar zumal als eine ausgeprägte Begabung für prophetisch ausdeutbare
Traumbilder; sein Freund Veit Dietrich formulierte dies dem schwäbischen Refor-
mator Johannes Brenz gegenüber 1546 einmal mit folgenden Worten: „Philipp ist
munteren Geistes. Er hat gesegnete Träume. [...] Du kennst ja die weissagerische Natur bei
diesem unseren Daniel.“10
Mit Melanchthons Angstträumen und anderen irrationalen Komponenten sei-
ner Persönlichkeit ist man über die Jahrhunderte hin sehr unterschiedlich verfahren:
Man hat sie angegriffen oder übergangen, man zeigte sich irritiert oder verspürte ein
gewisses Faszinosum. Die einen haben seine astrologischen und divinatorischen
Interessen und Vorlieben marginalisiert, andere haben gelegentlich sogar versucht
(oder zumindest behauptet), Melanchthons Traum- und Seelenleben mit der
Tiefenpsychologie C. G. Jungs auf den Grund zu kommen.11 Welche Wege zu
Melanchthon der Interpret auch immer einschlagen mag: Er tut gut daran, das
reiche Material von Melanchthons Briefwechsel dabei nicht außer Acht zu lassen.
Und nur in dessen im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften erar-
beiteter und modernen editorischen Standards entsprechender Ausgabe kann er
sicher sein, die Briefe des Reformators in unzensierter und somit authentischer
Form zu lesen. Die an Camerarius gerichteten Briefe Melanchthons etwa folgen hier
exakt den in den beiden Autographen-Kodizes (Cod. Chigi I VIII 293 und 294)
überlieferten Originalen, die im 17. Jahrhundert — vermutlich durch Kauf oder
Schenkung — aus München in den Besitz der römischen Adelsfamilie Chigi gelang-
ten und 1923 mit deren gesamter Bibliothek der Biblioteca Apostolica Vaticana ein-
gegliedert wurden.
8 Theokrit, Eidyllia 21, 29—31. Übersetzung (geringfügig geändert) nach der Ausgabe Theokrit:
Gedichte (griech. und dt.), hrsg. und übers, von Bernd Effe, Düsseldorf/Zürich 1999 (Sammlung
Tusculum), S. 151.
9 Vgl. hierzu Siegfried Bräuer: „... einige aber sind Natürliche, andere Göttliche, wider andere
Teuflische ...“ — Melanchthon und die Träume, in: „Man weiß so wenig über ihn“ — Philipp
Melanchthon. Ein Mensch zwischen Angst und Zuversicht, hrsg. vom Evangelischen Prediger-
seminar Wittenberg, Wittenberg 11997, S. 69—98 (erneut abgedruckt in ders.: Spottgedichte,
Träume und Polemik in den frühen Jahren der Reformation. Abhandlungen und Aufsätze, hrsg.
von Hans-Jürgen Goertz/Eike Wolgast, Leipzig 2000, S. 223—254).
10 Ebd., S. 89f.
11 Vgl. Helmut Hark: Der Traum-Glaube Melanchthons, in: Melanchthons Astrologie. Der Weg der
Sternenwissenschaft zur Zeit von Humanismus und Reformation, Katalog zur Ausstellung vom
15. Sept, bis 15. Dez. 1997 im Reformationsgeschichtl. Museum Lutherhalle Wittenberg, hrsg.
von Jürgen G. H. Hoppmann, Wittenberg 1997, S. 70f.