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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Antrittsreden
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Boehm, Thomas: Antrittsrede von Herrn Thomas Boehm an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 27. April 2013
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0141
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ANTRITTSREDEN

mein Studienwunsch beinahe wöchentlich. So war es nicht verwunderlich, dass der
Familienrat bei dieser Entscheidung ein wichtiges Wort mitreden wollte. Die Vor-
schläge reichten vom Jurastudium über Kirchenmusikausbildung (wohl um die
Nachfolge im der Familie anvertrauten Organistenamt zu sichern) zum Ingenieur-
studium; meine Mutter bereitete sich gar schon darauf vor, Essenspakete an die Gre-
goriana nach Rom zu schicken. Diese Ratschläge wägend aber letztlich in den Wind
schlagend, begann ich das Studium der Humanmedizin in Frankfurt am Main, eine
Entscheidung, die ich bis heute nicht bereut habe, auch wenn ich mir damals nicht
hätte vorstellen können, dass ich heute vor Ihnen sprechen würde.
Wenn ich den folgenden Minuten meinen bisherigen Weg zusammenfasse und
Ihnen dann berichte, mit welchen Fragen wir uns derzeit beschäftigen, werden Sie
erkennen, dass sich all dies vor allem dem Umstand verdankt, dass mir an jeder ent-
scheidenden Weggabelung immer wieder unverhofft Hilfe und Unterstützung
zukam. Dankbar bin ich dafür meiner Familie, die mir die Türen öffnete, und den
Lehrern in Schule, Universität und Beruf.
Beispielsweise hat mir ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen
Volkes, das mir auf Fürsprache meiner akademischen Lehrer der Universität Frank-
furt zukam, das Studium wesentlich erleichtert und bereichert. Selbst aus Widrigkei-
ten erwuchs Gutes. Als ich die Abschlussklausur des biochemischen Kurses wegen
vorangegangener Sitzwache im Krankenhaus verschlafen hatte, endete die notwen-
dig gewordene zusätzliche mündliche Prüfung mit einem Stellenangebot als studen-
tische Hilfskraft im biochemischen Institut. Damit war ich nicht nur jeder finanziel-
len Sorge endgültig ledig, dieser Zufall gab mir zudem Gelegenheit, unter wohlwol-
lender Anleitung zu experimentieren, und meine Resultate schließlich in einer
Dissertation zur enzymatischen Modifikation der Nukleinsäuren (einem heute wie-
der aktuellen Thema) zusammenzufassen. Diese prägende Erfahrung ermutigte
mich, eine akademischen Laufbahn in der Medizin in Erwägung zu ziehen.
Ein weiterer Zufall wollte es, dass der direkte Betreuer meiner Promotions-
arbeit, der leider viel zu früh verstorbene Dusan Drahovsky, gut befreundet war mit
Bernhard Kornhuber, der seinerzeit der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und
Onkologie am Universitätsklinikum in Frankfurt vorstand. Auf dessen Empfehlung
hin nahm mich Otto Hövels als Assistenzarzt im Zentrum der Kinderheilkunde auf.
Während der klinischen Rotation blieb ich wissenschaftlich der Hämatoonkologie
verbunden und konnte durch großzügige finanzielle Unterstützung der Deutschen
Krebshilfe bald mein erstes Forschungsprogramm ins Werk setzen - bewilligt ohne
einschlägige Vorarbeiten, ein heute undenkbarer Vorgang: die Gutachter waren wohl
ob meiner Chuzpe sprachlos. Jedenfalls ermöglichten mir die selbst aus heutiger
Sicht noch interessanten Ergebnisse zu genetischen Veränderungen in menschlichen
Leukämien schon wenige Jahre nach der Promotion die Lehrbefugnis zu erlangen,
die allerdings wegen noch fehlender Facharztprüfung nicht für Kinderheilkunde,
sondern kurzerhand für das Fach Biologische Chemie erteilt wurde.
Trotz dieser erfreulichen, und sogar mit wissenschaftlichen Preisen für Disser-
tation und Habilitation bedachten Entwicklung wusste ich in Wirklichkeit wenig
über das Wesen wissenschaftlichen Arbeitens, und mir schwante, dass ich mich
 
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