Thomas Boehm | 165
sowohl bei der Themenwahl wie auch bei der Ausführung nicht immer auf mein
Glück würde verlassen können. Mitte der 1980er Jahre - wohl wegen der Erfahrun-
gen aus Studienaufhalten in New York und London — setzte ich mir in den Kopf, aus
der Klinik an ein grundlagenwissenschaftliches Institut zu wechseln, um mich dort
einem breiteren wissenschaftlichen Diskurs zu stellen.
In einem Anfall von Selbstüberschätzung war meine Wahl auf das Laboratory
of Molecular Biology in Cambridge gefallen, das als das Beste seiner Art in der Welt
galt. Die Frage war nur, wie ich dorthin gelangen könnte. Mein Plan war ebenso
schlicht wie verblüffend erfolgreich. Ich fuhr für ein paar Tage nach Cambridge und
fragte vor Ort nach Gesprächsterminen. Zwar hatte niemand auf mich gewartet,
ich hatte jedoch das Glück, mit einigen Wissenschaftlern der von Cesar Milstein
geleiteten Division of Protein and Nucleic Acid Chemistry sprechen zu können. Zu
meiner großen Überraschung interessierte sich Terence Rabbitts für mich, nachdem
er gehört hatte, ich arbeitete über die Genetik menschlicher Leukämien. Er bot mir
eine kleine Ecke in seinem Labor als Arbeitsplatz für den Fall an, dass ich für mei-
nen Lebensunterhalt ein Stipendium ergattern könne. Dies gelang und so begann
Ende 1986 eine Zeit, die sich als persönlich wie wissenschaftlich außerordentlich
prägend erweisen sollte.
Mir war die Aufgabe gestellt, nach Genen zu suchen, deren anormale Aktivität
zur Entstehung menschlicher Leukämien führen könnte und zwar in solchen
Zellen, die sich normalerweise zu den virusbekämpfenden T-Zellen entwickeln.
Vor gut 25 Jahren noch eine Flerkulesaufgabe, ist dies heute im Zeitalter der kosten-
günstigen Genomsequenzierung ein recht einfaches Unterfangen. Ausgehend von
menschlichem Zellmaterial gelang es mir recht bald, unter Verwendung der im
Frankfurter biochemischen Institut erlernten Methode der somatischen Zellhybridi-
sierung die für die Tumoren kritischen Chromosomenteile zu vereinzeln, die rekur-
rierend von Läsionen betroffenen Abschnitte molekular darzustellen und schließlich
die beteiligten Gene zu identifizieren. Damit waren erstmals für menschliche T-Zell-
leukämien verantwortliche Onkogene identifiziert worden; eines dieser Gene, das
heute LMO2 genannt wird, erlangte später nochmalige traurige Berühmtheit, weil
es durch gentherapeutische Verfahren bei immundefizienten Patienten unerwünsch-
terweise aktiviert werden kann und dann zu einer akuten Leukämie führt, leider
ganz im Einklang mit den damaligen Befunden. Sie können sich vorstellen, dass ich
ob dieser Erfolge mit Feuereifer bei der Sache war, und ganz und gar in der Arbeit
an diesem Institut aufging, am Wochenende oft begleitet von einem der Kinder.
Wenig Beachtung schenkte ich damals der Tatsache, dass mein Zellkulturlabor jener
Raum war, in dem Georges Köhler, dem ich später in Freiburg am Max-Planck-
Institut im Amt nachfolgen sollte, einige Jahre zuvor seine Arbeiten zur Herstellung
monoklonaler Antikörper durchgeführt hatte.
Als ich Anfang der 1990er Jahre aus familiären Gründen schweren Herzens in
Cambridge meine Koffer packen musste, nutzte ich die Gelegenheit, mich von der
Leukämiegenetik ab- und einem neuen Thema zuzuwenden. In meiner Familie war
das Heimweh übermächtig geworden und die Kinder wollten sich als „Deutschlän-
der“ endlich wieder in die Reihe ihrer zahlreichen Cousins und Cousinen einrei-
sowohl bei der Themenwahl wie auch bei der Ausführung nicht immer auf mein
Glück würde verlassen können. Mitte der 1980er Jahre - wohl wegen der Erfahrun-
gen aus Studienaufhalten in New York und London — setzte ich mir in den Kopf, aus
der Klinik an ein grundlagenwissenschaftliches Institut zu wechseln, um mich dort
einem breiteren wissenschaftlichen Diskurs zu stellen.
In einem Anfall von Selbstüberschätzung war meine Wahl auf das Laboratory
of Molecular Biology in Cambridge gefallen, das als das Beste seiner Art in der Welt
galt. Die Frage war nur, wie ich dorthin gelangen könnte. Mein Plan war ebenso
schlicht wie verblüffend erfolgreich. Ich fuhr für ein paar Tage nach Cambridge und
fragte vor Ort nach Gesprächsterminen. Zwar hatte niemand auf mich gewartet,
ich hatte jedoch das Glück, mit einigen Wissenschaftlern der von Cesar Milstein
geleiteten Division of Protein and Nucleic Acid Chemistry sprechen zu können. Zu
meiner großen Überraschung interessierte sich Terence Rabbitts für mich, nachdem
er gehört hatte, ich arbeitete über die Genetik menschlicher Leukämien. Er bot mir
eine kleine Ecke in seinem Labor als Arbeitsplatz für den Fall an, dass ich für mei-
nen Lebensunterhalt ein Stipendium ergattern könne. Dies gelang und so begann
Ende 1986 eine Zeit, die sich als persönlich wie wissenschaftlich außerordentlich
prägend erweisen sollte.
Mir war die Aufgabe gestellt, nach Genen zu suchen, deren anormale Aktivität
zur Entstehung menschlicher Leukämien führen könnte und zwar in solchen
Zellen, die sich normalerweise zu den virusbekämpfenden T-Zellen entwickeln.
Vor gut 25 Jahren noch eine Flerkulesaufgabe, ist dies heute im Zeitalter der kosten-
günstigen Genomsequenzierung ein recht einfaches Unterfangen. Ausgehend von
menschlichem Zellmaterial gelang es mir recht bald, unter Verwendung der im
Frankfurter biochemischen Institut erlernten Methode der somatischen Zellhybridi-
sierung die für die Tumoren kritischen Chromosomenteile zu vereinzeln, die rekur-
rierend von Läsionen betroffenen Abschnitte molekular darzustellen und schließlich
die beteiligten Gene zu identifizieren. Damit waren erstmals für menschliche T-Zell-
leukämien verantwortliche Onkogene identifiziert worden; eines dieser Gene, das
heute LMO2 genannt wird, erlangte später nochmalige traurige Berühmtheit, weil
es durch gentherapeutische Verfahren bei immundefizienten Patienten unerwünsch-
terweise aktiviert werden kann und dann zu einer akuten Leukämie führt, leider
ganz im Einklang mit den damaligen Befunden. Sie können sich vorstellen, dass ich
ob dieser Erfolge mit Feuereifer bei der Sache war, und ganz und gar in der Arbeit
an diesem Institut aufging, am Wochenende oft begleitet von einem der Kinder.
Wenig Beachtung schenkte ich damals der Tatsache, dass mein Zellkulturlabor jener
Raum war, in dem Georges Köhler, dem ich später in Freiburg am Max-Planck-
Institut im Amt nachfolgen sollte, einige Jahre zuvor seine Arbeiten zur Herstellung
monoklonaler Antikörper durchgeführt hatte.
Als ich Anfang der 1990er Jahre aus familiären Gründen schweren Herzens in
Cambridge meine Koffer packen musste, nutzte ich die Gelegenheit, mich von der
Leukämiegenetik ab- und einem neuen Thema zuzuwenden. In meiner Familie war
das Heimweh übermächtig geworden und die Kinder wollten sich als „Deutschlän-
der“ endlich wieder in die Reihe ihrer zahlreichen Cousins und Cousinen einrei-