Lutz Gade | 169
Antrittsrede von Herrn LUTZ gade
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 27. April 2013.
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Zu den prägenden Erlebnissen in meinem Leben zählt
die erste Einladung an den High Table anlässlich eines
formellen Dinners in meinem College in Cambridge.
Diese Ehre widerfuhr allen neuen Mitgliedern und
diente der Pflege der Beziehungen zwischen den
„Dons“, den Lehrenden, und den Studenten des Colle-
ges. In einer altehrwürdigen Institution wie Trinity
Hall, 1350 gegründet und mit Gebäuden, die teilweise
noch aus dem Spätmittelalter stammten, stand der High
Table im Speisesaal noch wirklich auf einem leicht
erhöhten Podest und war quer zu den langen Tischreihen, an denen die Undergra-
duates saßen, angeordnet. So konnten diese vermutlich besser „beaufsichtigt“ wer-
den — vor allem aber aß man dort besser als auf den unteren Rängen.
Ich war bei dieser Gelegenheit zusammen mit einer schönen, deutschen
Doktorandin der Linguistik eingeladen, die unserem damaligen Master, Sir John Lyons,
aus seinem eigenen Fachbereich bekannt war. Wir beide wurden zu seiner Linken und
Rechten zu Tisch gebeten. Um uns herum saßen aktive Fellows und ältere Ehrenfel-
lows des Colleges. Nach dem Tischgebet (auf Latein) wurden die Vorspeisen aufgetra-
gen, und langsam begann ein etwas zähes Gespräch zwischen einigen der Dons über
Dinge des Hochschulalltags, während sich mein Gastgeber angeregt mit meiner Kom-
militonin unterhielt. Es war daher nicht verwunderlich, dass ich zunächst nur still
an meinem Fisch herumsäbelte. Mein Nachbar zur rechten Seite, ein Jurist und Ehren-
fellow in den hohen Achtzigern, würdigte mich keines Blickes und schlürfte die
zwischendurch gereichte Suppe. Der linguistische Fachdisput zu meiner Linken ent-
wickelte sich in immer weitere Höhen, während ich beobachtete, wie sich einzelne
Studenten in den langen Reihen vor uns mit Erbsen bewarfen.
Plötzlich, am Ende des Hauptganges, beugte sich mein rechter Nachbar zu mir
herüber, sah mich von der Seite an, und fragte mit schnarrender Stimme: „And
which subject are you reading, young man?“ Bei meiner etwas überhasteten Antwort
erschrak ich über den Klang meiner eigenen Stimme, die ich seit den Begrüßungs-
ritualen nicht mehr gehört hatte: „Oh, I am doing a Ph.D. in chemistry!“ worauf ein
hingeworfenes „Oh, jolly good!“ und danach für den Rest des Abends nichts
Weiteres folgte. Wir Chemiker stehen halt nicht im Ruf, besonders anregende
Gesprächspartner zu sein!
Ich bin gebürtiger Rheinländer, genauer gesagt, Bonner, wurde aber schon im
Vorschulalter aus dieser Umgebung herausgerissen. Als ich fünf Jahre alt war, folgte
unsere Familie meinem Vater nach Johannesburg in Südafrika. Eine solche Verände-
rung war in den späten sechziger Jahren nicht ungewöhnlich, zumal die ehemaligen
Antrittsrede von Herrn LUTZ gade
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 27. April 2013.
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Zu den prägenden Erlebnissen in meinem Leben zählt
die erste Einladung an den High Table anlässlich eines
formellen Dinners in meinem College in Cambridge.
Diese Ehre widerfuhr allen neuen Mitgliedern und
diente der Pflege der Beziehungen zwischen den
„Dons“, den Lehrenden, und den Studenten des Colle-
ges. In einer altehrwürdigen Institution wie Trinity
Hall, 1350 gegründet und mit Gebäuden, die teilweise
noch aus dem Spätmittelalter stammten, stand der High
Table im Speisesaal noch wirklich auf einem leicht
erhöhten Podest und war quer zu den langen Tischreihen, an denen die Undergra-
duates saßen, angeordnet. So konnten diese vermutlich besser „beaufsichtigt“ wer-
den — vor allem aber aß man dort besser als auf den unteren Rängen.
Ich war bei dieser Gelegenheit zusammen mit einer schönen, deutschen
Doktorandin der Linguistik eingeladen, die unserem damaligen Master, Sir John Lyons,
aus seinem eigenen Fachbereich bekannt war. Wir beide wurden zu seiner Linken und
Rechten zu Tisch gebeten. Um uns herum saßen aktive Fellows und ältere Ehrenfel-
lows des Colleges. Nach dem Tischgebet (auf Latein) wurden die Vorspeisen aufgetra-
gen, und langsam begann ein etwas zähes Gespräch zwischen einigen der Dons über
Dinge des Hochschulalltags, während sich mein Gastgeber angeregt mit meiner Kom-
militonin unterhielt. Es war daher nicht verwunderlich, dass ich zunächst nur still
an meinem Fisch herumsäbelte. Mein Nachbar zur rechten Seite, ein Jurist und Ehren-
fellow in den hohen Achtzigern, würdigte mich keines Blickes und schlürfte die
zwischendurch gereichte Suppe. Der linguistische Fachdisput zu meiner Linken ent-
wickelte sich in immer weitere Höhen, während ich beobachtete, wie sich einzelne
Studenten in den langen Reihen vor uns mit Erbsen bewarfen.
Plötzlich, am Ende des Hauptganges, beugte sich mein rechter Nachbar zu mir
herüber, sah mich von der Seite an, und fragte mit schnarrender Stimme: „And
which subject are you reading, young man?“ Bei meiner etwas überhasteten Antwort
erschrak ich über den Klang meiner eigenen Stimme, die ich seit den Begrüßungs-
ritualen nicht mehr gehört hatte: „Oh, I am doing a Ph.D. in chemistry!“ worauf ein
hingeworfenes „Oh, jolly good!“ und danach für den Rest des Abends nichts
Weiteres folgte. Wir Chemiker stehen halt nicht im Ruf, besonders anregende
Gesprächspartner zu sein!
Ich bin gebürtiger Rheinländer, genauer gesagt, Bonner, wurde aber schon im
Vorschulalter aus dieser Umgebung herausgerissen. Als ich fünf Jahre alt war, folgte
unsere Familie meinem Vater nach Johannesburg in Südafrika. Eine solche Verände-
rung war in den späten sechziger Jahren nicht ungewöhnlich, zumal die ehemaligen