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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Antrittsreden
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Winnacker, Albrecht: Antrittsrede von Herrn Albrecht Winnacker an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 20. Juli 2013
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0155
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178

ANTRITTSREDEN

Ich habe Physik studiert in Freiburg, Göttingen, Paris und Heidelberg. Als ich
mich in Freiburg zum Vordiplom anmeldete, stellte sich heraus, dass ich versehent-
lich für das Fach Mathematik immatrikuliert war, was vorher niemand bemerkt
hatte. So nah waren sich damals im Studienablauf die beiden Fächer.
In Göttingen besuchte ich das Grab Max Plancks und stellte fest, wie ungenau
die auf seinem Grabstein eingemeißelte Plancksche Konstante war. Man sollte mit
dem Einmeißeln fundamentaler Konstanten in Granit vorsichtig sein. Den berühm-
ten „Pohl-Zirkus“, die große Experimentalvorlesung, gab es nicht mehr im Origi-
nal. Wohl aber erfuhr ich in Göttingen, dass auch andere Fächer ihren Zirkus haben.
Der bedeutende Althistoriker Alfred Heuss, bekannt auch als Herausgeber der
Propyläen Weltgeschichte, las eine Vorlesung über Römische Geschichte, 4stündig
zweisemestrig, von der Gründung der Stadt bis zum Untergang, der es an rhetori-
schen und schauspielerischen Einlagen nicht fehlte. Freilich ließ ich den etwas ver-
blichenen Ruhm Göttingens bald hinter mir und wechselte in das deutlich lebendi-
gere Paris. Jeden Vormittag besuchte ich einen Sprachkurs an der „Alliance Francaise“,
mein Notizbuch berichtet, dass ich in den sieben Monaten meines Aufenthaltes
63mal das Theater besuchte, vor allem die überaus lebhafte Szene der Boulevard-
theater.
Für die Physik hatte ich in Paris nicht viel Zeit erübrigen können. Die inve-
stierte ich dann reuevoll und umso ernsthafter an meiner nächsten Station Heidel-
berg. Meine Doktorarbeit führte ich am Forschungsreaktor des Kernforschungszen-
trums Karlsruhe durch. Mein Doktorvater war Herr zu Putlitz. Bei den ausgefeilten
Experimenten im zu Putlitzschen Institut lernten wir den hohen Stellenwert des
Handwerks in der Experimentalphysik erkennen. Eine seiner Parolen war: Ein Dok-
torand ist so gut wie das Vakuum, das er in seiner Apparatur zustande bringt. Dahinter stand
die Tatsache, dass ein gutes Vakuum eine Sache des sorgfältigen, professionellen
Arbeitens ist.
Noch etwas anderes habe ich von meinem akademischen Lehrer zu Putlitz
übernommen. Das Anliegen nämlich, mit Hilfe der Wissenschaft eine Verbindung
auch zu ganz abgeschlossenen und isolierten Ländern herzustellen. Noch als junger
Heidelberger Professor installierte ich ein Kooperationsprogramm mit der Sowje-
tischen Akademie der Wissenschaften auf dem Gebiet der Festkörperphysik. Es war
die Zeit einer völligen Abschottung der Sowjetunion unter Breschnjew. Die Erfah-
rung zeigt, dass gerade die Wissenschaft in der Lage ist, zu einer Öffnung verkruste-
ter Verhältnisse und einem Wandel zum Besseren beizutragen. Ein extremes Vorha-
ben dieser Art haben wir, Herr zu Putlitz und ich, im vergangenen Jahrzehnt noch
einmal gemeinsam durchgeführt: Eine Kooperation mit Nordkorea. Herr zu Putlitz
hatte einen sicheren Blick für die wahren „Schurkenstaaten“.
Nach meiner Promotion ging ich als Postdoktorand an die Universität von
Kalifornien in Berkeley, kehrte von dort zur Habilitation nach Heidelberg zurück
und erhielt dort meine erste Professorenstelle der Experimentalphysik.
Obwohl als Baden-Württembergischer Beamter etabliert, machte sich allmäh-
lich eine innere Unruhe bemerkbar, das Gefühl, ich müsse noch einmal aus dem
Heidelberger Umfeld hinaustreten, ein Gefühl, dass sich mit einer Neigung zum
 
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