Das WIN-Kolleg
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meinung — für diese frühen politischen Formationen von einer sehr viel dichteren
als bislang angenommenen Besiedelung des Umlands der Stadtstaaten auszugehen
ist. Die Territorien jener Stadtstaaten zeichneten sich nach Lecomptes Ergebnissen
überdies durch eine starke zentralistische Durchdringung aus, die auf administrativer
Ebene durch eine oft an ländliche Heiligtümer angebundene Verwaltungshierarchie
ermöglicht wurde, aber auch dadurch, dass die Territorien maßgeblich durch Groß-
grundbesitz der jeweiligen Stadtherrscher und bestimmter städtischer Tempel geglie-
dert waren. Und nicht zuletzt trug auch Kultisches dazu bei, dem Territorium eine
Zusammengehörigkeit zu geben: Im Stadtstaat von Lagash etwa zogen an den
Festen der Hauptgottheiten Prozessionen durch den ganzen Staat bzw. von der
Hauptstadt ins Umland; ähnliche Praktiken sind zum Beispiel auch aus dem antiken
Griechenland bekannt. Die Arbeit zeigt damit beispielhaft die Wechselwirkung zwi-
schen Raum-Ordnung in ihren praktischen Aspekten und der Verfestigung staatlich-
administrativer Strukturen. Die Untersuchung befindet sich derzeit in Überarbei-
tung zur Drucklegung und soll im Jahr 2014 unter dem Titel Villes, villages et premiers
etats: la eite sumerienne et son territoire au Ille millenaire (Dresden: ISLET) erscheinen;
mehrere Vorarbeiten dazu sind bereits in Aufsatzform vorgelegt worden: s. dazu unten
die Publikationsliste.
Einen sehr viel späteren Zeitabschnitt der altvorderorientalischen Geschichte
bearbeitete Claus Ambos in seiner Habilitationsschrift, die um den Jahreswechsel
2013/4 unter dem Titel Der König im Gefängnis und das Neujahrsfest im Herbst: Mecha-
nismen der Legitimation des babylonischen Herrschers im L Jahrtausend v. Chr. und ihre
Geschichte (Dresden: ISLET) erscheinen wird. Sie behandelt, ganz im Sinne der ange-
strebten sachlichen und methodischen Breite innerhalb des Projektes, eine ganz
andere Dimension des Zusammenhangs von Raum und Ordnungskonzepten: Ihr
Ansatzpunkt ist die Herrschaftsideologie im Alten Orient — hier des babylonischen
Königtums im 1. Jtsd. v. Chr. —, die Frage diejenige, wie Rituale des Herrschertums
mit zugehörigen räumlichen Arrangements korrespondierten, ja durch diese erst
ihren vollen Sinn erhielten. Zu den Eigentümlichkeiten der babylonischen Herr-
scherlegitimation gehört, dass der König von Babylon sich zweimal im Jahr während
der Tagundnachtgleichen einem kurzzeitigen Statusverlust unterziehen musste, um
in seinem Status als Herrscher bestätigt zu werden. Während des Neujahrsfestes im
Frühjahr, zur Zeit des Frühlingsäquinoktiums, wurde der König im Tempel des Gott-
es Marduk seiner Insignien entkleidet und vom Oberpriester geohrfeigt. Während
des Neujahrsfestes im Herbst, zur Zeit des Herbstäquinoktiums, hielt sich der König
ohne seinen herrscherlichen Ornat in einem Gefängnis aus Rohr in der Steppe auf;
das zugehörige Ritual „Haus des Wasserversprengens“ wurde in der Habilitations-
schrift zum ersten Male überhaupt in einer zusammenhängenden Edition vorgelegt.
Besonderes Interesse lag dabei auf der Analyse des Ritualschauplatzes, einem als
„Gefängnis“ bezeichneten, temporären Gebäude aus Rohr in der Steppe, ein Ort
der verkehrten Welt und der Statusumkehr, dessen kurzzeitige Existenz erst die rites
de passage der Statusumkehr ermöglichten und die damit verbundenen
Ordnungskonzepte demnach nicht bloß repräsentierten, sondern sie überhaupt erst
herstellten. Durch das Layout und die Orientierung des Bauwerkes nach den Hirn-
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meinung — für diese frühen politischen Formationen von einer sehr viel dichteren
als bislang angenommenen Besiedelung des Umlands der Stadtstaaten auszugehen
ist. Die Territorien jener Stadtstaaten zeichneten sich nach Lecomptes Ergebnissen
überdies durch eine starke zentralistische Durchdringung aus, die auf administrativer
Ebene durch eine oft an ländliche Heiligtümer angebundene Verwaltungshierarchie
ermöglicht wurde, aber auch dadurch, dass die Territorien maßgeblich durch Groß-
grundbesitz der jeweiligen Stadtherrscher und bestimmter städtischer Tempel geglie-
dert waren. Und nicht zuletzt trug auch Kultisches dazu bei, dem Territorium eine
Zusammengehörigkeit zu geben: Im Stadtstaat von Lagash etwa zogen an den
Festen der Hauptgottheiten Prozessionen durch den ganzen Staat bzw. von der
Hauptstadt ins Umland; ähnliche Praktiken sind zum Beispiel auch aus dem antiken
Griechenland bekannt. Die Arbeit zeigt damit beispielhaft die Wechselwirkung zwi-
schen Raum-Ordnung in ihren praktischen Aspekten und der Verfestigung staatlich-
administrativer Strukturen. Die Untersuchung befindet sich derzeit in Überarbei-
tung zur Drucklegung und soll im Jahr 2014 unter dem Titel Villes, villages et premiers
etats: la eite sumerienne et son territoire au Ille millenaire (Dresden: ISLET) erscheinen;
mehrere Vorarbeiten dazu sind bereits in Aufsatzform vorgelegt worden: s. dazu unten
die Publikationsliste.
Einen sehr viel späteren Zeitabschnitt der altvorderorientalischen Geschichte
bearbeitete Claus Ambos in seiner Habilitationsschrift, die um den Jahreswechsel
2013/4 unter dem Titel Der König im Gefängnis und das Neujahrsfest im Herbst: Mecha-
nismen der Legitimation des babylonischen Herrschers im L Jahrtausend v. Chr. und ihre
Geschichte (Dresden: ISLET) erscheinen wird. Sie behandelt, ganz im Sinne der ange-
strebten sachlichen und methodischen Breite innerhalb des Projektes, eine ganz
andere Dimension des Zusammenhangs von Raum und Ordnungskonzepten: Ihr
Ansatzpunkt ist die Herrschaftsideologie im Alten Orient — hier des babylonischen
Königtums im 1. Jtsd. v. Chr. —, die Frage diejenige, wie Rituale des Herrschertums
mit zugehörigen räumlichen Arrangements korrespondierten, ja durch diese erst
ihren vollen Sinn erhielten. Zu den Eigentümlichkeiten der babylonischen Herr-
scherlegitimation gehört, dass der König von Babylon sich zweimal im Jahr während
der Tagundnachtgleichen einem kurzzeitigen Statusverlust unterziehen musste, um
in seinem Status als Herrscher bestätigt zu werden. Während des Neujahrsfestes im
Frühjahr, zur Zeit des Frühlingsäquinoktiums, wurde der König im Tempel des Gott-
es Marduk seiner Insignien entkleidet und vom Oberpriester geohrfeigt. Während
des Neujahrsfestes im Herbst, zur Zeit des Herbstäquinoktiums, hielt sich der König
ohne seinen herrscherlichen Ornat in einem Gefängnis aus Rohr in der Steppe auf;
das zugehörige Ritual „Haus des Wasserversprengens“ wurde in der Habilitations-
schrift zum ersten Male überhaupt in einer zusammenhängenden Edition vorgelegt.
Besonderes Interesse lag dabei auf der Analyse des Ritualschauplatzes, einem als
„Gefängnis“ bezeichneten, temporären Gebäude aus Rohr in der Steppe, ein Ort
der verkehrten Welt und der Statusumkehr, dessen kurzzeitige Existenz erst die rites
de passage der Statusumkehr ermöglichten und die damit verbundenen
Ordnungskonzepte demnach nicht bloß repräsentierten, sondern sie überhaupt erst
herstellten. Durch das Layout und die Orientierung des Bauwerkes nach den Hirn-