Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

DOI Kapitel:
I. Das akademische Jahr 2013
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 26.April 2013
DOI Artikel:
Conard, Nicholas John: Entstanden figürliche Kunst und Musik in Baden-Württemberg?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0061
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
84

SITZUNGEN

den materiell nachweisbaren Ausdruck des sozialen und symbolischen ‘Kitts’ dar, der
größere und komplexere, voll moderne soziale Gruppen zusammenhielt. Diese Arte-
fakte und die Verhaltensmuster, die sich in ihnen manifestieren, haben die Menschen
und ihre Technologie enger mit ihrer Umgebung verbunden, wobei sie es den kul-
turell modernen Menschen ermöglichten, die Oberhand über ansässige archaische
Populationen in denjenigen Gebieten zu gewinnen, in die hinein sie sich ausbreite-
ten. Diese neuen symbolischen Artefakte finden sich früh im archäologischen
Befund in Europa und zeigen zeitliche und räumliche Verteilungsmuster, die eng mit
der Ausbreitung moderner Menschen in diesem Kontinent Zusammenhängen
(Conard 2008).
Abschließend kann festgehalten werden, dass die Höhlen der Schwäbischen
Alb mit Abstand die besten Belege für die frühe figürliche Kunst, für die Existenz
mythischer Wesen in der Vorstellungswelt der Aurignacienmenschen, für frühe
Musikinstrumente und für Schmuck mit dreidimensionaler Formgebung liefern.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Zunächst ist hier die lange und erfolgreiche For-
schungstradition zu nennen, die bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
mit den Arbeiten von Oscar Fraas einsetzte (Conard und Bolus 2006). Ein Mei-
lenstein in der Urgeschichtsforschung nicht nur der Schwäbischen Alb war das
1912 veröffentlichte Buch von R. R. Schmidt ‘Die diluviale Vorzeit Deutschlands’,
in welchem er den damaligen Forschungsstand zur Altsteinzeit in Deutschland im
Kontext der europäischen Entwicklung vorlegte und in welchem er sich auch mit
der Entwicklung der Eiszeitkunst auseinander setzte (Schmidt 1912; Bolus und
Conard 2012). Die Elfenbeinfigurinen aus den Höhlen der Schwäbischen Alb
waren zu Schmidts Zeit noch nicht bekannt. Aber bereits 1931 war Gustav Riek
im Rahmen seiner Ausgrabungen am Vogelherd im Lonetal der Erste, der aurigna-
cienzeitliche Elfenbeinfiguren entdeckte (Riek 1934). Zunächst als Ausnahme-
stücke betrachtet, kamen später aus drei anderen Schwäbischen Höhlen, Hohlen-
stein-Stadel, Geißenklösterle und Hohle Fels, weitere Figurinen hinzu, die anzei-
gen, dass vollplastische Kunstgegenstände offenbar von Anfang an als integraler
Bestandteil des Schwäbischen Aurignacien gesehen werden dürfen. Auch Flöten,
sowohl aus Elfenbein als auch aus Knochen, sind inzwischen aus drei dieser Höhlen
(mit Ausnahme des Hohlenstein-Stadel) bekannt. Schließlich liegt aus den meisten
Aurignacienschichten der Schwäbischen Alb dreidimensional gearbeiteter
Schmuck in einer Variationsbreite vor, die kaum in anderen Regionen zu beob-
achten ist.
Die z.T. umfangreichen Schichtenfolgen in den Höhlen der Schwäbischen Alb
erlauben es, die Kunstentwicklung sowohl innerhalb des Aurignacien nachzuzeich-
nen, das in dieser Region über mehr als 5.000 Jahre nachweisbar ist, als auch darü-
ber hinaus über das Gravettien bis in das Magdalenien hinein. Besonders wichtig ist
dabei die Tatsache; dass inzwischen mehr als zweihundert Radiokohlenstoff-Daten
und auch einige Thermolumineszenz-Daten für das Schwäbische Aurignacien vor-
liegen, die für die Fundschichten und damit auch für die einzigartigen Funde ein
verlässliches und gut begründetes Zeitgerüst liefern (Richter u.a. 2000; Conard und
Bolus 2003, 2008; Higham u.a. 2012).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften