Lutz Gade | 171
Der Zufall unserer Geschichte wollte es, dass ich die Zeit der Wiedervereini-
gung der beiden deutschen Staaten in England verbrachte und sogar als „Statist auf
der Galerie“ das politische Geschehen verfolgen konnte. Ich hatte das Kurt-Hahn-
Stipendium des Foreign and Commonwealth Office erhalten, benannt nach dem
Gründer der Schulen Schloss Salem und Gordonstoun, und als Inhaber dieses Sti-
pendiums landete ich auf den Einladungslisten für eine Reihe deutsch-britischer
Polit-Ereignisse dieser Zeit — gewissermaßen, um den Hintergrund der „Szenen
einer seinerzeit unglücklichen Ehe“ zwischen den beiden Regierungen auszufüllen.
Einen Höhepunkt der damaligen Animositäten zwischen Margret Thatcher und
Helmut Kohl, die von der britischen Ablehnung der Vereinigung herrührten und
zudem durch die persönliche Inkompatibilität der beiden Protagonisten verstärkt
wurde, bildete die Königswinter-Konferenz in Cambridge im Frühjahr 1990. Bei
dieser Gelegenheit wurden beide — wie mir schien — auch physisch auseinanderge-
halten: Sie fuhren nach einem kurzen Händedruck am Flughafen in getrennten
Limousinen zum Tagungsort, wurden beim Bankett weit auseinandergesetzt und
zementierten ihre gegensätzlichen Haltungen in den Tischreden.
Cambridge war damals ein Zentrum der Cluster-Forschung, die u.a. der Frage
nachgeht, nach welchen Regeln sich Metallatome zu Aggregaten, d.h. kleinsten sta-
bilisierten Metallpartikeln zusammenlagern. Dabei trifft man häufig besonders stabi-
le Strukturen, die die Gestalt der hochsymmetrischen platonischen Grundkörper
besitzen. Cambridge vermittelte mir den Wert der reinen Wissenschaft, deren Ziel
nicht die technische Umsetzung der Grundlagenforschung, sondern in den Worten
des deutschen Mathematikers Carl Gustav Jacobi „l’honneur de l’esprit humain“ ist,
die man also zur Ehre des menschlichen Geistes betreibt. Ich hatte das Glück, dass
die Doktorarbeit gut gelang, weshalb Lord Lewis — ohne auf Einwände meinerseits
zu reagieren — entschied, dass ich eine Universitätslaufbahn einschlagen müsste.
Ich habe mich dann in den neunziger Jahren in Würzburg mit Arbeiten zur
metallorganischen Chemie und Koordinationschemie für das Fachgebiet Anorgani-
sche Chemie habilitiert und dort anschließend auch noch zwei produktive Jahre als
Privatdozent verbracht, ehe ich 1998 einem Ruf auf einen Lehrstuhl an der Univer-
site Louis Pasteur in Straßburg folgte. Obwohl ich gleichzeitig ein Angebot aus dem
deutschsprachigen Raum hatte, entschied ich mich aus fachlichen Gründen für die
Universität in Straßburg, die zu den forschungsstärksten auf dem Gebiet der Chemie
in Europa zählt. Da ich damals nur schlecht Französisch sprach, bedeutete dies
zunächst eine erhebliche zusätzliche Anstrengung. Im Laufe der Zeit wurde es aller-
dings besser, zumal die Studenten mir gegenüber sehr tolerant waren.
Während der Jahre in Straßburg entwickelten sich meine wissenschaftlichen
Interessen auf dem Gebiet der Koordinationschemie immer mehr in Richtung der
Katalysatorforschung und der Entwicklung neuer molekularer Katalysatortypen.
Katalysatoren beschleunigen chemische Reaktionen — häufig ermöglichen sie diese
erst —, ohne in der Bilanz dieser Reaktionen selbst umgewandelt zu werden. Je selek-
tiver die katalysierten Reaktionen ablaufen, desto weniger unerwünschte Produkte
entstehen. Mich interessieren vor allem solche Katalysen, bei denen zwei Reaktions-
produkte entstehen können, die sich in ihrer Struktur wie Bild und Spiegelbild ver-
Der Zufall unserer Geschichte wollte es, dass ich die Zeit der Wiedervereini-
gung der beiden deutschen Staaten in England verbrachte und sogar als „Statist auf
der Galerie“ das politische Geschehen verfolgen konnte. Ich hatte das Kurt-Hahn-
Stipendium des Foreign and Commonwealth Office erhalten, benannt nach dem
Gründer der Schulen Schloss Salem und Gordonstoun, und als Inhaber dieses Sti-
pendiums landete ich auf den Einladungslisten für eine Reihe deutsch-britischer
Polit-Ereignisse dieser Zeit — gewissermaßen, um den Hintergrund der „Szenen
einer seinerzeit unglücklichen Ehe“ zwischen den beiden Regierungen auszufüllen.
Einen Höhepunkt der damaligen Animositäten zwischen Margret Thatcher und
Helmut Kohl, die von der britischen Ablehnung der Vereinigung herrührten und
zudem durch die persönliche Inkompatibilität der beiden Protagonisten verstärkt
wurde, bildete die Königswinter-Konferenz in Cambridge im Frühjahr 1990. Bei
dieser Gelegenheit wurden beide — wie mir schien — auch physisch auseinanderge-
halten: Sie fuhren nach einem kurzen Händedruck am Flughafen in getrennten
Limousinen zum Tagungsort, wurden beim Bankett weit auseinandergesetzt und
zementierten ihre gegensätzlichen Haltungen in den Tischreden.
Cambridge war damals ein Zentrum der Cluster-Forschung, die u.a. der Frage
nachgeht, nach welchen Regeln sich Metallatome zu Aggregaten, d.h. kleinsten sta-
bilisierten Metallpartikeln zusammenlagern. Dabei trifft man häufig besonders stabi-
le Strukturen, die die Gestalt der hochsymmetrischen platonischen Grundkörper
besitzen. Cambridge vermittelte mir den Wert der reinen Wissenschaft, deren Ziel
nicht die technische Umsetzung der Grundlagenforschung, sondern in den Worten
des deutschen Mathematikers Carl Gustav Jacobi „l’honneur de l’esprit humain“ ist,
die man also zur Ehre des menschlichen Geistes betreibt. Ich hatte das Glück, dass
die Doktorarbeit gut gelang, weshalb Lord Lewis — ohne auf Einwände meinerseits
zu reagieren — entschied, dass ich eine Universitätslaufbahn einschlagen müsste.
Ich habe mich dann in den neunziger Jahren in Würzburg mit Arbeiten zur
metallorganischen Chemie und Koordinationschemie für das Fachgebiet Anorgani-
sche Chemie habilitiert und dort anschließend auch noch zwei produktive Jahre als
Privatdozent verbracht, ehe ich 1998 einem Ruf auf einen Lehrstuhl an der Univer-
site Louis Pasteur in Straßburg folgte. Obwohl ich gleichzeitig ein Angebot aus dem
deutschsprachigen Raum hatte, entschied ich mich aus fachlichen Gründen für die
Universität in Straßburg, die zu den forschungsstärksten auf dem Gebiet der Chemie
in Europa zählt. Da ich damals nur schlecht Französisch sprach, bedeutete dies
zunächst eine erhebliche zusätzliche Anstrengung. Im Laufe der Zeit wurde es aller-
dings besser, zumal die Studenten mir gegenüber sehr tolerant waren.
Während der Jahre in Straßburg entwickelten sich meine wissenschaftlichen
Interessen auf dem Gebiet der Koordinationschemie immer mehr in Richtung der
Katalysatorforschung und der Entwicklung neuer molekularer Katalysatortypen.
Katalysatoren beschleunigen chemische Reaktionen — häufig ermöglichen sie diese
erst —, ohne in der Bilanz dieser Reaktionen selbst umgewandelt zu werden. Je selek-
tiver die katalysierten Reaktionen ablaufen, desto weniger unerwünschte Produkte
entstehen. Mich interessieren vor allem solche Katalysen, bei denen zwei Reaktions-
produkte entstehen können, die sich in ihrer Struktur wie Bild und Spiegelbild ver-