180 | ANTRITTSREDEN
Staube zu machen. Im Jahr 1992 konnte ich den Lehrstuhl Werkstoffe der Elektro-
technik an der Technischen Fakultät der Universität Erlangen übernehmen, der mei-
nem Arbeitsgebiet traditionell sehr nahe stand. Gewisse Themen konnte ich in gutem
Einvernehmen an die Universität mitnehmen, ich habe in der Folge stets drei oder
vier Doktoranden betreut, die nicht in den Labors meines Instituts, sondern in den
Siemens Forschungslaboratorien tätig waren.
Mein in Sachen Industriekontakte sehr erfahrener Kollege Öl vom Lehrstuhl
Glas und Keramik sagte gleich am Beginn meiner Erlanger Universitätstätigkeit zu
mir: Sie haben doch hoffentlich nicht die Absicht, monogam zu leben, und meinte damit die
Industriebeziehungen. In der Tat nutzte ich die wieder gewonnene akademische
Freiheit dazu, an meine Verbindung zur IBM anzuknüpfen. So ergab es sich, dass ich
viele Jahre lang begleitet von meiner Familie die Sommerferien in den Forschungs-
laboratorien der IBM in San Jose verbrachte, so dass Kalifornien quasi zur zweiten
Heimat unserer Familie wurde.
Der Sprung von der ganz grundlagenorientierten Heidelberger Physik in
ein Industrielaboratorium und dann zu einer Technischen Fakultät lieferte natürlich
reichlich Anschauungsmaterial zum Unterschied zwischen Grundlagenforschung und
Angewandter Forschung. Das erste, was mir auffiel, war dies: Während wir an einem
universitären Forschungsinstitut ständig von grüblerischen Leuten umgeben sind, die
wir sagen hören: Ich versteh das nicht, wie soll das gehen, das ist mir ein Rätsel, begegnete
ich bei Siemens nur Leuten die sagten: Das wissen wir, das verstehen wir genau, das haben
wir voll im Griff. Das hat zu tun, so wurde mir allmählich klar, mit einem unterschied-
lichen Begriff davon, was „Verstehen“ heißt. Grundlagenforschung und Angewandte
Forschung unterscheiden sich nämlich entgegen landläufiger Ansicht primär nicht in
den Gegenständen, mit denen sie sich befassen. Beispiele, wie aus Grundlagenfor-
schung große Anwendungen erwachsen und umgekehrt, können wir ja zu Genüge
aufführen. Der Unterschied hegt in der Art des erstrebten Verständnisses. Für den
Grundlagenforscher heißt Verstehen das Erkennen des Wechselspiels von Ursachen
und Wirkungen in den Erscheinungen. Für den Ingenieur heißt Verstehen, die Vor-
aussetzungen für das Funktionieren eines technischen Systems, einer Maschine oder
eines Prozesses, zu durchschauen, um es aktiv zu gestalten. Die gegenseitige Wert-
schätzung beider Disziplinen muss aus der Einsicht resultieren, dass in beiden Facet-
ten, im Erkennen und im Gestalten, sich legitime Anliegen der Wissenschaft spiegeln.
In den 17 Jahren, die ich dem Lehrstuhl Werkstoffe der Elektrotechnik vor-
stand, haben wir uns beiden Anliegen gewidmet, dem physikalischen Verständnis und
der technischen Umsetzung. Aus unserer Beschäftigung mit dem schwierigen Halb-
leitermaterial Siliziumkarbid ist eine florierende Firma hervorgegangen, die
SiCrystal AG, die heute einer der beiden Hauptanbieter dieses Halbleitermaterials
auf dem Weltmarkt ist. Wenn Sie heute eine solche Taschenlampe kaufen, wie ich sie
hier mitgebracht habe, oder bei nächtlicher Fahrt von den weißen Haifischzähnen
der Frontbeleuchtung einer edlen Karosse unangenehm geblendet werden, dann
sehen Sie wahrscheinlich die weißen Leuchtdioden vor sich, die Osram auf unserem
Siliziumkarbid aufbaut. Es ist für mich eine Freude, wenn ich heute, immer noch
Mitglied des Aufsichtsrates, durch die Firma gehe und in den leitenden technischen
Staube zu machen. Im Jahr 1992 konnte ich den Lehrstuhl Werkstoffe der Elektro-
technik an der Technischen Fakultät der Universität Erlangen übernehmen, der mei-
nem Arbeitsgebiet traditionell sehr nahe stand. Gewisse Themen konnte ich in gutem
Einvernehmen an die Universität mitnehmen, ich habe in der Folge stets drei oder
vier Doktoranden betreut, die nicht in den Labors meines Instituts, sondern in den
Siemens Forschungslaboratorien tätig waren.
Mein in Sachen Industriekontakte sehr erfahrener Kollege Öl vom Lehrstuhl
Glas und Keramik sagte gleich am Beginn meiner Erlanger Universitätstätigkeit zu
mir: Sie haben doch hoffentlich nicht die Absicht, monogam zu leben, und meinte damit die
Industriebeziehungen. In der Tat nutzte ich die wieder gewonnene akademische
Freiheit dazu, an meine Verbindung zur IBM anzuknüpfen. So ergab es sich, dass ich
viele Jahre lang begleitet von meiner Familie die Sommerferien in den Forschungs-
laboratorien der IBM in San Jose verbrachte, so dass Kalifornien quasi zur zweiten
Heimat unserer Familie wurde.
Der Sprung von der ganz grundlagenorientierten Heidelberger Physik in
ein Industrielaboratorium und dann zu einer Technischen Fakultät lieferte natürlich
reichlich Anschauungsmaterial zum Unterschied zwischen Grundlagenforschung und
Angewandter Forschung. Das erste, was mir auffiel, war dies: Während wir an einem
universitären Forschungsinstitut ständig von grüblerischen Leuten umgeben sind, die
wir sagen hören: Ich versteh das nicht, wie soll das gehen, das ist mir ein Rätsel, begegnete
ich bei Siemens nur Leuten die sagten: Das wissen wir, das verstehen wir genau, das haben
wir voll im Griff. Das hat zu tun, so wurde mir allmählich klar, mit einem unterschied-
lichen Begriff davon, was „Verstehen“ heißt. Grundlagenforschung und Angewandte
Forschung unterscheiden sich nämlich entgegen landläufiger Ansicht primär nicht in
den Gegenständen, mit denen sie sich befassen. Beispiele, wie aus Grundlagenfor-
schung große Anwendungen erwachsen und umgekehrt, können wir ja zu Genüge
aufführen. Der Unterschied hegt in der Art des erstrebten Verständnisses. Für den
Grundlagenforscher heißt Verstehen das Erkennen des Wechselspiels von Ursachen
und Wirkungen in den Erscheinungen. Für den Ingenieur heißt Verstehen, die Vor-
aussetzungen für das Funktionieren eines technischen Systems, einer Maschine oder
eines Prozesses, zu durchschauen, um es aktiv zu gestalten. Die gegenseitige Wert-
schätzung beider Disziplinen muss aus der Einsicht resultieren, dass in beiden Facet-
ten, im Erkennen und im Gestalten, sich legitime Anliegen der Wissenschaft spiegeln.
In den 17 Jahren, die ich dem Lehrstuhl Werkstoffe der Elektrotechnik vor-
stand, haben wir uns beiden Anliegen gewidmet, dem physikalischen Verständnis und
der technischen Umsetzung. Aus unserer Beschäftigung mit dem schwierigen Halb-
leitermaterial Siliziumkarbid ist eine florierende Firma hervorgegangen, die
SiCrystal AG, die heute einer der beiden Hauptanbieter dieses Halbleitermaterials
auf dem Weltmarkt ist. Wenn Sie heute eine solche Taschenlampe kaufen, wie ich sie
hier mitgebracht habe, oder bei nächtlicher Fahrt von den weißen Haifischzähnen
der Frontbeleuchtung einer edlen Karosse unangenehm geblendet werden, dann
sehen Sie wahrscheinlich die weißen Leuchtdioden vor sich, die Osram auf unserem
Siliziumkarbid aufbaut. Es ist für mich eine Freude, wenn ich heute, immer noch
Mitglied des Aufsichtsrates, durch die Firma gehe und in den leitenden technischen