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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2000 — 2001

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21. Juli 2000

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Der Mensch bleibt Teil der Evolution der Organismen dieser Erde. Die besten Ergeb-
nisse unserer kulturellen Evolution, Wissen und Innovation aus Forschung, müssen
selektiv gegen die natürliche Evolution eingesetzt werden. Anders sind die hoch
anpassungsfähigen Mikroorganismen unter den heutigen Lebensbedingungen nicht
unter Kontrolle zu halten.
- Der Vortrag ist in den Schriften der Math.-nat. Klasse Nr. 10/2001 erschienen.

Sitzung der Phil.-hist. Klasse
am 21. Juli 2000
Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenkt die Klasse des verstorbenen korr. Mitglieds
Herbert Hunger, em. Professor für Byzantinistik in Wien.
1. Herr Heribert Smolinsky hält einen Vortrag: „Deutungen der Zeit im Streit der
Konfessionen. Kontroverstheologie, Apokalyptik und Astrologie im 16. Jahrhun-
dert“
Gab es in der zweiten Hälfte des 16. Jh., in der sich die christlichen Kirchen stabili-
sierten, eine konfessionsspezifische Sicht und Deutung der Zeit? In den Kontext einer
allgemeinen Vermehrung astrologischer Literatur eingebettet, scheint das Phänomen
der Zunahme von apokalyptisch gefärbten und mit der Astrologie als Zeitdeutung und
-prognostik verbundenen Flugschriften dies nahezulegen. Sie konnten mit Weltunter-
gangsszenarien durchsetzt sein und hatten oft lutherische Theologen als Autoren, die
damit ältere Traditionen einer apokalyptischen Deutung der Geschichte fortsetzten
und die Reformation in den Prozeß endzeitlicher Ereignisse einbetteten. Eine solche
Judizialastrologie forderte römisch-katholische Gegenschriften heraus und führte zu
einer spannenden literarischen Polemik, die konfessionalisierte Denkformen und
Argumentationsweisen erkennen läßt. Mit der Gregorianischen Kalenderreform von
1582, deren päpstliche Provenienz es mit sich brachte, daß die Protestanten den Neuen
Kalender meist ablehnten, erhielten die Kontroversen eine zusätzliche Dimension. Vor
allem der Wiener Astrologe, Musiker und Buchhändler Johann Rasch engagierte sich
in zahlreichen astrologischen Flugschriften für eine antiprotestantische Sicht, setzte
sich mit den Positionen lutherischer Theologen auseinander und bot eine davon
abweichende Zeitinterpretation seinen Leserinnen und Lesern an.
Rasch, dem als Katholik ohnehin durch den Trienter Index von 1564 und die 1586
erschienene Bulle Sixtus’ V. Constitutio coeli et terrae die Judizialastrologie verboten
war, lehnte die apokalyptisch-astrologischen Aussagen, wie sie etwa Cyprian von
Leowitz in Lauingen oder der Danziger Arzt Wilhelm Misocacus vertraten, dezidiert
ab und suchte ihre Zufälligkeiten aufzuweisen. Vor allem die Jahre 1584 und 1588 stan-
den im Mittelpunkt eines Streites um ihre Qualität als Zeit des Unheils, das aus der
Sternenkonjunktion ablesbar sei. Rasch sah Flugschriften solcher Art, die sich u. a.
chiliastischer Ideen bedienten, als destabilisierend für die politische und kirchliche
Ordnung an und setzte ihnen die Ordnungssysteme der päpstlichen und kaiserlichen
Macht entgegen. Eigene Endzeitberechnungen, die er nicht völlig vermied, stützte der
 
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