Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2002
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Sitzung der Math.-nat. Klasse am 26. Januar 2002
DOI Artikel:
Rockstroh, Brigitte: Was Hänschen nicht lernt...? Erkenntnisse zur kortikalen Plastizität beim Menschen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0041
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
52 | SITZUNGEN

für die Erforschung kortikaler Reorganisation bildete dabei das Wissen um die Orga-
nisation der die Sinnesfunktionen repräsentierenden Cortexareale. Die cortikalen
rezeptiven Felder repräsentieren die räumliche Anordnung der Rezeptoren in der
Peripherie, so dass z. B. die sensorische Körperoberfläche wie eine Landkarte (als
Homunculus bezeichnet) abgebildet ist oder im akustischen Raum höhere Fre-
quenzen im akustischen Cortex weiter medial repräsentiert sind (als Tonotopie
bezeichnet). Genauere Betrachtung des Homunkulus zeigt eine Asymmetrie in der
cortikalen Repräsentation einzelner Körperteile, die die Annahme nahe legt, dass
sich in der Ausdehnung der cortikalen Repräsentationen die lern- und erfahrungs-
abhängige Funktionsintensität und -relevanz der peripheren Organe abbilden. Bis in
die 80er Jahre war die neurowissenschaftliche Forschung zur Organisation der Sinne
geprägt von der Aussage des spanischen Neuroanatomen und Nobelpreisträgers
Ramon y Cajal, dass die homunkuläre Organisation nach Abschluß der Hirnreifung
weitgehend unveränderbar sei. Diese Doktrin wurde in den 70er Jahren durch Tier-
experimente ins Wanken gebracht, die zeigten, dass eine Veränderung des relativen
Gewichtes von Afferenzen durch Inaktivation oder Überaktivation zu makroskopi-
schen Veränderungen in der funktionellen Organisation der sensorischen, homun-
kulären Karte führte. Etwa reagierten bei Affen, denen Jahre zuvor ein Arm ampu-
tiert worden war, Neurone der durch Amputation deafferentierten Areale von Hand
und Arm auf Eingänge in benachbarte Repräsentationsareale, d. h. auf Stimulation
des Gesichts. Diese ‘Invasion’ benachbarter Repräsentationsareale umfaßte bis zu
1 cm in der Hirnrinde. Komplementär ließ sich Reorganisation auch durch ver-
mehrte Afferenzen infolge intensiver und verhaltensrelevanter (d. h. mit Futter
belohnter) Stimulation nachweisen.
Auf neurophysiologischer Ebene wird diese Reorganisationsfähigkeit wesent-
lich über das Ende der 40er Jahre von Hebb formulierte Prinzip neuronaler Zellver-
bände erklärt: Die Aktivität synaptischer Verbindungen variiert aufgrund zeitgleicher
Aktivierung der prä- und postsynaptischen Neurone: “cells that fire together wire
together”. Hebb nahm zunächst zwei Varianten der Dynamik an: Geht ein ankom-
mender Impuls dem Feuern des postsynaptischen Neurons voraus, wird die Potenz
der Synapse zur elektrischen Impulsübertragung verstärkt — LTP — im entgegen
gesetzten Fall nimmt die Aktivität der Synapse ab — LTD. Zusätzlich wurden in den
letzten Jahren verschiedene weitere neurophysiologische Mechanismen der Plastizität
nachgewiesen. Diese Eigenschaft synaptischer Plastizität erlaubt die Bildung von Zell-
verbänden, die durch reverberierende Aktivität ihre Verbindungen untereinander stär-
ken und sich durch asynchrones Feuern — LTD — voneinander abgrenzen.
Im Humanbereich lässt sich cortikale Reorganisation (wie z. B. in der Kostan-
zer Arbeitsgruppe) vermittels nicht-invasiver bildgebender Verfahren wie Elektro-
und Magnetoenzephalographie1 bei Personen untersuchen, die aufgrund ihrer
Schicksale Ausfälle in einem Sinnessystem durch die intensivere Nutzung eines ande-

Zur Darstellung der Methodik sei verwiesen auf Elbcrt et al. (2001) Physiologische Grundlagen
und psychophysiologische Meßmethoden der Hirnaktivituat. In: F. Rösler (Hrsg.) Enzyklopädie
der Psychologie, Bd 4, S. 179—236; Göttingen, Hogrefe.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften