SITZUNGEN
Cortikale Reorganisation dürfte adaptiv sein (wie das Beispiel erblindeter
Braille-Leser nahe legt), kann aber auch Funktionstüchtigkeit einschränken, wie das
Beispiel von Musikern, die unter fokaler Dystonie der Hand leiden, zeigt. Fokale
Dystonie der Hand betrifft vor allem Berufs- und Konzertmusiker, die plötzlich auf-
grund von scheinbaren Verkrampfungen einzelne Finger nicht mehr getrennt bewe-
gen können. Nicht selten steht am Beginn der Erkrankung eine Überbeanspruchung
oder Verletzung der Hand. Häufig versuchen Musiker in frühen Stadien der Proble-
matik, diese durch noch intensiveres Üben zu überwinden, was dann aber meist zur
Verschlimmerung des Zustandes führt. Vorstellbar wäre, dass jahrelanges tägliches
Üben schneller und kraftvoller Bewegungs- und Stimulationssequenzen zu Reorga-
nisation nach dem Prinzip der Fusion durch synchrone Stimulation führt. Diese
Hypothese wird zum einen durch den Nachweis überlagerter Repräsentationsareale
der Finger der betroffenen Hand — verglichen mit differenzierten Repräsentationen
der nicht-betroffenen Hand und nicht-betroffener Musiker gestützt, zum anderen
durch die therapeutische Wirkung eines intensiven motorischen Trainings, das die
getrennte Stimulation und Bewegung der Finger und somit asynchronen afferenten
Input betont6.
Humanpsychophysiologische Studien mit nicht-invasiven Verfahren erlauben
somit, neurowissenschaftliche Prinzipien lern- oder erfahrungsbedingter cortikaler
Reorganisation (Deafferentierungs-bedingte Abnahme afferenten inputs, Stimulati-
ons-bedingte Zunahme afferenten inputs, Überlagerungen oder Fusion benachbar-
ter Repräsentationen infolge synchronen inputs) mit ihren adaptiven und maladap-
tiven Konsequenzen zu fundieren und legen damit die Grundlage für therapeutische
Nutzung cortikaler Reorganisation. Neben der genannten wieder erlernbaren Dif-
ferenzierung von Fingerrepräsentationen bei fokaler Dystonie der Hand werden
diese Prinzipien etwa bei der Behandlung von Phantomschmerz evaluiert, indem
Invasion benachbarter Repräsentationen in deafferentierte Areale durch intensivier-
te Afferenzen in das deafferentierte Areal rückgängig gemacht wird. Wie Weiss und
Miltner zeigen können, führt das Tragen einer Sauerbruch-Prothese, bei der die
Bewegung der Prothese über die Bewegung des Stumpfes erfolgt, im Vergleich zum
Tragen kosmetischer Prothesen zum deuthchen Rückgang von Phantomschmerz.
Schließlich führt 10-tägiges intensives und an Lernprinzipien orientiertes Training
bei Hemiplegikern nicht nur zu deutlicher Verbesserung der Funktionstüchtigkeit
des beeinträchtigten Armes sondern auch zu Veränderungen cortikaler Repräsenta-
tionen im Sinne der ‘input increase’ Reorganisation7. Neurowissenschaftliche
Erkenntnisse sollten also nicht nur Hänschen sondern auch Hans ermutigen, Neues
zu lernen und Verlorenes wieder zu erlernen.
6 Candida,V, Schäfer, T, Taub, E., Rau, H., Altenmüller, E., Rockstroh, B., Elbert,T. (2002) Senso-
rimotor Retuning (SMR). A behavioral treatment for focal hand dystonia of pianists and guita-
rists. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, 83: 1342—1348.
Taub, E., Uswatte, G., Elbert. T. (2002) New treatments in neurorehabilitation founded on basic
research. Nature Reviews Neuroscience, 3, 228—236. Elbert, T, Rockstroh, B. (2002) Kortikale Re-
organisation: Von der Neuroplastizität zur Neurorehabiltation. In: O. Karnath, P. Thier (Hrsg.)
Neuropsychologie, Springer-Verlag, pp 685—700.
Cortikale Reorganisation dürfte adaptiv sein (wie das Beispiel erblindeter
Braille-Leser nahe legt), kann aber auch Funktionstüchtigkeit einschränken, wie das
Beispiel von Musikern, die unter fokaler Dystonie der Hand leiden, zeigt. Fokale
Dystonie der Hand betrifft vor allem Berufs- und Konzertmusiker, die plötzlich auf-
grund von scheinbaren Verkrampfungen einzelne Finger nicht mehr getrennt bewe-
gen können. Nicht selten steht am Beginn der Erkrankung eine Überbeanspruchung
oder Verletzung der Hand. Häufig versuchen Musiker in frühen Stadien der Proble-
matik, diese durch noch intensiveres Üben zu überwinden, was dann aber meist zur
Verschlimmerung des Zustandes führt. Vorstellbar wäre, dass jahrelanges tägliches
Üben schneller und kraftvoller Bewegungs- und Stimulationssequenzen zu Reorga-
nisation nach dem Prinzip der Fusion durch synchrone Stimulation führt. Diese
Hypothese wird zum einen durch den Nachweis überlagerter Repräsentationsareale
der Finger der betroffenen Hand — verglichen mit differenzierten Repräsentationen
der nicht-betroffenen Hand und nicht-betroffener Musiker gestützt, zum anderen
durch die therapeutische Wirkung eines intensiven motorischen Trainings, das die
getrennte Stimulation und Bewegung der Finger und somit asynchronen afferenten
Input betont6.
Humanpsychophysiologische Studien mit nicht-invasiven Verfahren erlauben
somit, neurowissenschaftliche Prinzipien lern- oder erfahrungsbedingter cortikaler
Reorganisation (Deafferentierungs-bedingte Abnahme afferenten inputs, Stimulati-
ons-bedingte Zunahme afferenten inputs, Überlagerungen oder Fusion benachbar-
ter Repräsentationen infolge synchronen inputs) mit ihren adaptiven und maladap-
tiven Konsequenzen zu fundieren und legen damit die Grundlage für therapeutische
Nutzung cortikaler Reorganisation. Neben der genannten wieder erlernbaren Dif-
ferenzierung von Fingerrepräsentationen bei fokaler Dystonie der Hand werden
diese Prinzipien etwa bei der Behandlung von Phantomschmerz evaluiert, indem
Invasion benachbarter Repräsentationen in deafferentierte Areale durch intensivier-
te Afferenzen in das deafferentierte Areal rückgängig gemacht wird. Wie Weiss und
Miltner zeigen können, führt das Tragen einer Sauerbruch-Prothese, bei der die
Bewegung der Prothese über die Bewegung des Stumpfes erfolgt, im Vergleich zum
Tragen kosmetischer Prothesen zum deuthchen Rückgang von Phantomschmerz.
Schließlich führt 10-tägiges intensives und an Lernprinzipien orientiertes Training
bei Hemiplegikern nicht nur zu deutlicher Verbesserung der Funktionstüchtigkeit
des beeinträchtigten Armes sondern auch zu Veränderungen cortikaler Repräsenta-
tionen im Sinne der ‘input increase’ Reorganisation7. Neurowissenschaftliche
Erkenntnisse sollten also nicht nur Hänschen sondern auch Hans ermutigen, Neues
zu lernen und Verlorenes wieder zu erlernen.
6 Candida,V, Schäfer, T, Taub, E., Rau, H., Altenmüller, E., Rockstroh, B., Elbert,T. (2002) Senso-
rimotor Retuning (SMR). A behavioral treatment for focal hand dystonia of pianists and guita-
rists. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, 83: 1342—1348.
Taub, E., Uswatte, G., Elbert. T. (2002) New treatments in neurorehabilitation founded on basic
research. Nature Reviews Neuroscience, 3, 228—236. Elbert, T, Rockstroh, B. (2002) Kortikale Re-
organisation: Von der Neuroplastizität zur Neurorehabiltation. In: O. Karnath, P. Thier (Hrsg.)
Neuropsychologie, Springer-Verlag, pp 685—700.