8. Februar 2002 | 57
Solchen Versuch, historisch gewachsene Unterschiede zu beseitigen kann man
auch im Leben am Tempel selbst erkennen. Dieser Ort vorwiegend individueller, stil-
ler Gottesverehrung wird zunehmend zum Schauplatz von gelenkten Gruppenakti-
vitäten.
Betriebsbelegschaften, Studenten- oder Jugendgruppen nutzen die geborgene
Atmosphäre des Tempelbezirks für gemeinsames Picknick im Freien und folgen
damit einer Freizeitgestaltung, die bereits eine lange Tradition hat und die sich mit
zunehmender Motorisierung immer größerer Beliebtheit erfreut, — bei den Besu-
chern ebenso wie bei den Tempelpriestern, welche auf vermehrte Opfergaben hof-
fen können.
Neu ist jedoch, dass solche Gruppen sich nicht mehr still verhalten bzw. sich der
traditionellen Verehrung des jeweiligen Gottes nicht einfugen. Vielmehr beginnen die
Jugendgruppen auch an Tempeln, die dem Gott Shiva oder einer Göttin geweiht sind,
laute Preisgesänge zum Ruhme Ramas oder Krishnas auszufuhren. Sie tun dies be-
wusst und provokativ und sie besitzen die nötige Schlagkraft, solche Aktionen auch
gegen den Willen einer alten, machtlosen Priesterschaft durchzusetzen.
Dies sind Aktivitäten, hinter denen em politischer Wille steht, der auch vor
Gewalt nicht zurückschreckt und dem sich die älteren Priester beugen müssen: ein
Wille zur Erneuerung und Veränderung der religiösen Traditionen der Hindus im
Dienste einer übergeordneten nationalistischen Agenda. Denn darüber muss man
sich klar sein: Was hier zusammengemischt wird, sind nicht einfach mehrere Götter
des gleichen geographischen Raumes. Es sind Götter, die in unterschiedliche theo-
logische Systeme eingebunden sind, höchste Gottheiten verschiedener, seit zwei
Jahrtausenden miteinander rivalisierender monotheistischer Religionen. Hier han-
delt es sich nicht um einen Dialog von Religionen, sondern um programmatische
Verschmelzung von Religionen. Indem man sie zusammenfuhrt und bisher ver-
schiedene höchste Gottheiten als ein und dieselbe Gottheit identifiziert, hofft man,
die religiöse Vielfalt Indiens in eine neue, einheitliche und gesamtindische Hindu-
religion überleiten zu können. Das ist ein Prozess, der mit religiöser Überzeugung
kaum etwas zu tun hat. Es handelt sich vielmehr um ein politisches Desiderat, des-
sen Verwirklichung von Vertretern eines nationalen Hinduismus intensiv betrieben
wird. Gebraucht wird nämlich dringend eine Kraft, welche die Indische Union
zusammenhält und stärkt. Dies, so scheint es, soll in Zukunft die Religion leisten. An
die Stelle uferloser religiöser Vielfalt soll ein einheitlicher und überwältigend domi-
nanter Hinduismus treten, der die fremdbestimmten Muslime und Christen in ihre
Schranken weist.
Um die Hintergründe dieser neuen religiösen Offensive deutlich zu machen,
geht der Vortrag im Folgenden auf die historischen Bedingungen ein, die das Ver-
hältnis zwischen indischen Hindus und Muslimen bis heute belasten und bereits seit
Beginn des 20. Jhts. zur Entstehung eines politischen Hindu-Nationalismus führten.
Dessen politische Zielsetzung, die systematische und geduldige Ausbildung seiner
Machtstrukturen und der politische Durchbruch, der diese Bewegung seit Ende des
20. Jhs. zur dominanten politischen Kraft in Indien avancieren ließ, werden in knap-
per Form dargestellt.
Solchen Versuch, historisch gewachsene Unterschiede zu beseitigen kann man
auch im Leben am Tempel selbst erkennen. Dieser Ort vorwiegend individueller, stil-
ler Gottesverehrung wird zunehmend zum Schauplatz von gelenkten Gruppenakti-
vitäten.
Betriebsbelegschaften, Studenten- oder Jugendgruppen nutzen die geborgene
Atmosphäre des Tempelbezirks für gemeinsames Picknick im Freien und folgen
damit einer Freizeitgestaltung, die bereits eine lange Tradition hat und die sich mit
zunehmender Motorisierung immer größerer Beliebtheit erfreut, — bei den Besu-
chern ebenso wie bei den Tempelpriestern, welche auf vermehrte Opfergaben hof-
fen können.
Neu ist jedoch, dass solche Gruppen sich nicht mehr still verhalten bzw. sich der
traditionellen Verehrung des jeweiligen Gottes nicht einfugen. Vielmehr beginnen die
Jugendgruppen auch an Tempeln, die dem Gott Shiva oder einer Göttin geweiht sind,
laute Preisgesänge zum Ruhme Ramas oder Krishnas auszufuhren. Sie tun dies be-
wusst und provokativ und sie besitzen die nötige Schlagkraft, solche Aktionen auch
gegen den Willen einer alten, machtlosen Priesterschaft durchzusetzen.
Dies sind Aktivitäten, hinter denen em politischer Wille steht, der auch vor
Gewalt nicht zurückschreckt und dem sich die älteren Priester beugen müssen: ein
Wille zur Erneuerung und Veränderung der religiösen Traditionen der Hindus im
Dienste einer übergeordneten nationalistischen Agenda. Denn darüber muss man
sich klar sein: Was hier zusammengemischt wird, sind nicht einfach mehrere Götter
des gleichen geographischen Raumes. Es sind Götter, die in unterschiedliche theo-
logische Systeme eingebunden sind, höchste Gottheiten verschiedener, seit zwei
Jahrtausenden miteinander rivalisierender monotheistischer Religionen. Hier han-
delt es sich nicht um einen Dialog von Religionen, sondern um programmatische
Verschmelzung von Religionen. Indem man sie zusammenfuhrt und bisher ver-
schiedene höchste Gottheiten als ein und dieselbe Gottheit identifiziert, hofft man,
die religiöse Vielfalt Indiens in eine neue, einheitliche und gesamtindische Hindu-
religion überleiten zu können. Das ist ein Prozess, der mit religiöser Überzeugung
kaum etwas zu tun hat. Es handelt sich vielmehr um ein politisches Desiderat, des-
sen Verwirklichung von Vertretern eines nationalen Hinduismus intensiv betrieben
wird. Gebraucht wird nämlich dringend eine Kraft, welche die Indische Union
zusammenhält und stärkt. Dies, so scheint es, soll in Zukunft die Religion leisten. An
die Stelle uferloser religiöser Vielfalt soll ein einheitlicher und überwältigend domi-
nanter Hinduismus treten, der die fremdbestimmten Muslime und Christen in ihre
Schranken weist.
Um die Hintergründe dieser neuen religiösen Offensive deutlich zu machen,
geht der Vortrag im Folgenden auf die historischen Bedingungen ein, die das Ver-
hältnis zwischen indischen Hindus und Muslimen bis heute belasten und bereits seit
Beginn des 20. Jhts. zur Entstehung eines politischen Hindu-Nationalismus führten.
Dessen politische Zielsetzung, die systematische und geduldige Ausbildung seiner
Machtstrukturen und der politische Durchbruch, der diese Bewegung seit Ende des
20. Jhs. zur dominanten politischen Kraft in Indien avancieren ließ, werden in knap-
per Form dargestellt.