Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2002
DOI chapter:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI chapter:
Gesamtsitzung am 15. Juni 2002
DOI article:
Maul, Stefan M.: Die "Befreiung vom Bann" - Überlegungen zu altorientalischen Konzeptionen von "Krankheit" und "Heilung"
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0068
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
15. Juni 2002 | 79

Die Verlegung des Amtswechsels in die Frühjahrssitzung ist auch insofern zu
begrüßen, als damit der Präsidentenwechsel in Heidelberg und damit am Sitz der
Akademie stattfindet. Bislang findet der Präsidentenwechsel im Rahmen der Aus-
wärtssitzung im Herbst statt, wodurch das allgemeine und Medieninteresse äußerst
gering ist.
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Herr von Löhneysen, Karlsruhe, hält seine Antrittsrede.
Stefan Maul hält einen Vortrag: Die „Befreiung vom Bann“ — Überlegungen zu alt-
orientalischen Konzeptionen von ‘Krankheit’ und ‘Heilung’.
Im Jahre 614 v. Chr. gelang es den Medern Assur, die alte Hauptstadt Assyriens, ein-
zunehmen und damit den Untergang des Assyrerreiches einzuläuten. Sie plünderten
und zerstörten die Tempel und Paläste der Stadt, erschlugen und verschleppten ihre
Bewohner, schleiften die Befestigungsanlagen und verwüsteten das gesamte Stadt-
gebiet. Auch das inmitten der Stadt gelegene Haus, das dereinst Kizir-Assur, dem
„Beschwörer des Assur-Tempels“ gehört hatte, blieb nicht verschont. Als der Archäo-
loge Walter Andrae mehr als zweieinhalb Jahrtausende später, im Jahre 1908, auf die
Reste dieses Wohnhauses stieß, machte er einen hochbedeutsamen Fund. Unter dem
Schutt des eingestürzten Hauses lagen auf den Fußböden mehrerer Räume verstreut
weit über tausend Tontafeln und Tontafelfragmente. Man hatte die zerschlagene
Bibliothek des ‘Beschwörers’ entdeckt, der im Dienste des letzten großen assyrischen
Herrschers Assurbanipal (669—627 v. Chr.) und seiner Nachfolger stand.
Der kulturhistorische Wert dieses Fundes ist unermeßlich. Denn erstmals ver-
fügte man über ein beachtliches Textcorpus, das ausschließlich die Schriften und
Werke vereint, die em assyrischer aschipu — so lautet die akkadische Bezeichnung für
den Beschwörer — im Rahmen seiner Tätigkeit benötigte. Die Auswertung des längst
noch nicht erschlossenen Bibliotheksbestandes, die derzeit im Zentrum meiner wis-
senschaftlichen Tätigkeit steht, ermöglicht nicht nur, die Aufgabenbereiche eines
‘Beschwörers’ genau zu erfassen. Das Ensemble der gefundenen Tontafeln kann auch
einen tiefen Einblick in dessen Arbeitsweise und die zugrunde liegenden Vorstellun-
gen eröffnen.
Eine erste Durchsicht des Textbestandes bestätigt die im Fache gängige
Ansicht, daß einem aschipu im wesentlichen die Aufgabe zukam, mittels
Beschwörung, Gebet, Magie und Ritual die Ordnung in der Welt aufrechtzuerhal-
ten und jegliches Unheil von König, Land und Leuten abzuwehren.
In dem Hause des Beschwörers wurde auch em ansehnliches, etwa 300 Ton-
tafeln umfassendes Corpus von medizinischen Texten entdeckt. Rezepte, in denen —
einem strengen Schema folgend — die Schilderung von Krankheitszeichen, eine
Beschreibung der jeweiligen Heilanzeige (Indikation), Anweisungen zur Herstellung
von Arzneien sowie Vorschriften für die Applikationsart der Medikamente zusam-
mengestellt sind, finden sich dort gemeinsam mit Beschreibungen magischer Rituale
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften