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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Hauptmann, Harald: Karl Jettmar (8.8.1918 - 28.3.2002)
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154 | NACHRUFE

seinen Lehrern war nach dem Anschluß Österreichs an das Reich nur der Prähisto-
riker Oswald Menghin übrig geblieben, der später zum Unterrichtsminister ernannt
wurde. Sein Studium wurde außerdem noch 1938 durch den Reichsarbeitsdienst
unterbrochen, dem nach einem kurzen Gastspiel an der Universität im Frühjahr
1940 die Einberufung zur Wehrmacht folgte. Er hat es aber als einen Glücksfall
betrachtet, daß er ein Jahr später beurlaubt wurde, um als 22-Jähriger bei den Profes-
soren H. Baumann, R. Wolfram und O. Menghin in den Fächern Völkerkunde, Volks-
kunde und Urgeschichte mit einer Arbeit über „Der Schmied im germanischen
Raum“ zu promovieren. Während des Wehrdienstes, der ihn nach Frankreich und
Rußland führte, wurde er 1944 schwer verwundet und geriet an der Westfront in
amerikanische Gefangenschaft. 1943 hatte er die Ärztin Dr. Senta Heidrich geheira-
tet und war nut ihr nach seiner am 9. November 1945 erfolgten Entlassung aus dem
Gefangenenlager im August 1946 nach Wien zurückgekehrt. In den schweren Nach-
kriegsjahren, die er als Verkäufer im Spielwarengeschäft seiner Tanten überstanden
hat, konnte er sich seinem Hauptinteressengebiet, der Archäologie und Ethnologie
Nordasiens, widmen. Den Lebensunterhalt der 1948 um eine Tochter (und 1958 um
einen Sohn) gewachsenen Familie konnte er auch durch gemeinsam mit seiner Frau
erarbeitete Übersetzungen von Kinder- und Abenteuerbüchern sichern. Die von
ihm erstellte deutsche Fassung des 1949 erschienenen und immer noch populären
Buches Kon-Tiki von T. Heyerdahl hat Jettmar scherzhaft immer wieder als sein
erfolgreichstes Werk bezeichnet. Während seiner Besuche in Schweden, wo seine
Mutter lebte, hatte er zu seiner Kenntnis des Russischen auch Schwedisch erlernen
können. In Stockholm waren ihm im Museum für Fernöstliche Altertümer die rei-
chen Sammlungen sibirischer Funde und der Ordos-Bronzen durch den Sinologen
B. Karlgren zugänglich gemacht worden, der ihn auch zu seinen ersten wichtigen
Beiträgen über die Karasuk-Kultur und den vortürkischen Altai in der Museums-
zeitschrift anregte. Aufgrund seiner wachsendenVertrautheit mit der schwer zugäng-
lichen, umfangreichen sowjetischen Literatur hatte er in seinen Aufsätzen ein abwei-
chendes Bild der kulturgeschichtlichen Entwicklung im nordasiatischen „Hirten-
kulturkreis“ gezeichnet, das ihn in einen deutlichen Gegensatz zu der noch immer
von Pater Schmidt beharrlich vertretenen Lehrmeinung brachte. Jettmar, der in
seinem alten, aus der Emigration zurückgekehrten Lehrer R. von Heine-Geldern
seinen Mentor fand, konnte nachweisen, daß das von der erstarrten „Wiener Schule“
vorgestellte dreistufige Evolutionskonzept, nach dem im eurasischen Steppenraum
die Entwicklung von der Stufe der Jäger und Sammler über die der Nomaden zum
Bauerntum verlief, nicht aufrecht zu erhalten sei. Auch sind die „nördlichen Noma-
den“ nicht aus den Rentierzüchtergruppen hervorgegangen, die eine besonders
junge Form des Nomadentums repräsentieren. Seine kritischen Arbeiten, die durch
die Einbeziehung der Forschungsergebnisse der Sowjetarchäologie die erstarrten
Schulmeinungen der Wiener Ethnologie aufzubrechen begannen, sollten ihm in den
folgenden Jahren auch in der internationalen Fachwelt Anerkennung einbringen. Vor
allem gelang es ihm, acht Jahre nach Kriegsende endlich auch wirtschaftlich so
unabhängig zu werden, daß er sich auf seine wissenschaftliche Laufbahn konzentrie-
ren konnte.
 
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