Eugenio Coseriu | 161
sehen beeinflusst worden sei. Auf Rom folgte in den Kriegswirren nach einem kur-
zen Aufenthalt in Padua 1945 Milano, wo 1949 zur ersten, philologischen, noch eine
zweite Laurea in Philosophie (über die Ästhetik in Rumänien) kam. Für den Lebens-
unterhalt sorgten zwischen 1945 und 1950 eine Tätigkeit als Redakteur beim Corriere
Lombardo (namentlich Kunstchronik und Kunstkritik), ein Lektorat für Rumänisch an
der Universität Milano und, wie schon in den Jahren zuvor, allerlei weitere Neben-
tätigkeiten — insbesondere Übersetzungen aus slawischen und einer Reihe von ande-
ren Sprachen, die das damalige Lehrangebot an der Universität Rom widerspiegeln.
Gelernt hatte er sie, um die betreffende Literatur im Original lesen zu können.
Coseriu, der nicht nur in Ia§i, sondern auch in Rom und Milano gewiss viele
und z. T. sehr gute akademische Lehrer hatte, hat später immer von sich gesagt: im
Grunde sei er Autodidakt. Sein eigentlicher Lehrer sei das Selbststudium gewesen:
Über Benedetto Croces Ästhetik stieß er z. B. auf Aristoteles und dann auf Hegel.
Leibniz und Wilhelm von Humboldt waren stets wichtige Bezugsgrößen. Selbst bei
Antonino Pagliaro (1898-1973), einem Iranisten und Sprachwissenschaftler, hat er in
Rom nicht gehört, weil er damals meinte, jemand, der auch Vorlesungen über die
Geschichte des Faschismus halte, könne kein seriöser Gelehrter sein. Er lernte ihn
erst später durch Lektüre kennen und hat ihn danach stets als genialen Textwissen-
schaftler und Texttheoretiker gepriesen.
Die gewiss am stärksten prägende Phase in Cosenus Leben dürften die Jahre
zwischen 1950 und 1963 gewesen sein. Angeregt durch den Konsul von Uruguay,
mit dem er als Journalist zusammengetroffen war, beteiligte er sich am Aufbau des
Erziehungswesens und einer Universität in Montevideo. Da die Tätigkeit als Profes-
sor nach Unterrichtsstunden honoriert wurde, lehrte er dort jahrelang 48 Stunden
pro Woche: als Professor für allgemeine und indogermanische Sprachwissenschaft, als
Professor für allgemeine, romanische und spanische Sprachwissenschaft, für Ästhetik,
Stilistik, als Professor am Institut für Lehrerbildung, als Leiter des Departamento de
Lmgüistica. Gerade in Montevideo entstanden — nunmehr in spanischer Sprache —
Coserius grundlegende Arbeiten: Sistema, norma y habla (1952), Determination y entor-
no (1957), Sincronia, diacronia e historia (1958), Teoria del lenguaje y lingüistica general
(1962). Die Autodidaxis betraf speziell die Sprachwissenschaft. Denn Coseriu war
zuvor eigentlich nie Sprachwissenschaftler, sondern nur der Beherrscher vieler Spra-
chen (der er stets auch geblieben ist). Dazu kam: Die Literatur, die nötig war, musste
in Montevideo mühsam besorgt werden. Vor allem aber: Auf diese Weise rezipierte
er diejenige Sprachwissenschaft, die damals modern war, also den Saussureschen
Strukturalismus.
Spätestens bei dieser extensiven Lehrtätigkeit erwarb er — docendo discimus — den
unglaublichen Überblick über die Geistesgeschichte seit der Antike, der ihn stets aus-
zeichnete. Aristoteles und der Scholastik verdankt er wohl jenes scharfe distinguol,
jene scharfe Begriffsklärung, die immer sein Markenzeichen war. Scholastisch ausge-
drückt: Citius emergit veritas ex errore quam ex wnfusione (Während der krude Irrtum
durchaus nützlich sein kann, bewirkt begriffliche Unschärfe das Gegenteil.).
Solche Distinktionen wurden zum Grundgerüst seiner Lehre: die Unterschei-
dung zwischen drei Bedeutungen von ‘Sprache’, manifestiert in einer Sprachwissen-
sehen beeinflusst worden sei. Auf Rom folgte in den Kriegswirren nach einem kur-
zen Aufenthalt in Padua 1945 Milano, wo 1949 zur ersten, philologischen, noch eine
zweite Laurea in Philosophie (über die Ästhetik in Rumänien) kam. Für den Lebens-
unterhalt sorgten zwischen 1945 und 1950 eine Tätigkeit als Redakteur beim Corriere
Lombardo (namentlich Kunstchronik und Kunstkritik), ein Lektorat für Rumänisch an
der Universität Milano und, wie schon in den Jahren zuvor, allerlei weitere Neben-
tätigkeiten — insbesondere Übersetzungen aus slawischen und einer Reihe von ande-
ren Sprachen, die das damalige Lehrangebot an der Universität Rom widerspiegeln.
Gelernt hatte er sie, um die betreffende Literatur im Original lesen zu können.
Coseriu, der nicht nur in Ia§i, sondern auch in Rom und Milano gewiss viele
und z. T. sehr gute akademische Lehrer hatte, hat später immer von sich gesagt: im
Grunde sei er Autodidakt. Sein eigentlicher Lehrer sei das Selbststudium gewesen:
Über Benedetto Croces Ästhetik stieß er z. B. auf Aristoteles und dann auf Hegel.
Leibniz und Wilhelm von Humboldt waren stets wichtige Bezugsgrößen. Selbst bei
Antonino Pagliaro (1898-1973), einem Iranisten und Sprachwissenschaftler, hat er in
Rom nicht gehört, weil er damals meinte, jemand, der auch Vorlesungen über die
Geschichte des Faschismus halte, könne kein seriöser Gelehrter sein. Er lernte ihn
erst später durch Lektüre kennen und hat ihn danach stets als genialen Textwissen-
schaftler und Texttheoretiker gepriesen.
Die gewiss am stärksten prägende Phase in Cosenus Leben dürften die Jahre
zwischen 1950 und 1963 gewesen sein. Angeregt durch den Konsul von Uruguay,
mit dem er als Journalist zusammengetroffen war, beteiligte er sich am Aufbau des
Erziehungswesens und einer Universität in Montevideo. Da die Tätigkeit als Profes-
sor nach Unterrichtsstunden honoriert wurde, lehrte er dort jahrelang 48 Stunden
pro Woche: als Professor für allgemeine und indogermanische Sprachwissenschaft, als
Professor für allgemeine, romanische und spanische Sprachwissenschaft, für Ästhetik,
Stilistik, als Professor am Institut für Lehrerbildung, als Leiter des Departamento de
Lmgüistica. Gerade in Montevideo entstanden — nunmehr in spanischer Sprache —
Coserius grundlegende Arbeiten: Sistema, norma y habla (1952), Determination y entor-
no (1957), Sincronia, diacronia e historia (1958), Teoria del lenguaje y lingüistica general
(1962). Die Autodidaxis betraf speziell die Sprachwissenschaft. Denn Coseriu war
zuvor eigentlich nie Sprachwissenschaftler, sondern nur der Beherrscher vieler Spra-
chen (der er stets auch geblieben ist). Dazu kam: Die Literatur, die nötig war, musste
in Montevideo mühsam besorgt werden. Vor allem aber: Auf diese Weise rezipierte
er diejenige Sprachwissenschaft, die damals modern war, also den Saussureschen
Strukturalismus.
Spätestens bei dieser extensiven Lehrtätigkeit erwarb er — docendo discimus — den
unglaublichen Überblick über die Geistesgeschichte seit der Antike, der ihn stets aus-
zeichnete. Aristoteles und der Scholastik verdankt er wohl jenes scharfe distinguol,
jene scharfe Begriffsklärung, die immer sein Markenzeichen war. Scholastisch ausge-
drückt: Citius emergit veritas ex errore quam ex wnfusione (Während der krude Irrtum
durchaus nützlich sein kann, bewirkt begriffliche Unschärfe das Gegenteil.).
Solche Distinktionen wurden zum Grundgerüst seiner Lehre: die Unterschei-
dung zwischen drei Bedeutungen von ‘Sprache’, manifestiert in einer Sprachwissen-