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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Haug, Walter: Richard Brinkmann (16.6.1921 - 2.11.2002)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0156
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Richard Brinkmann | 167

sich nun einer Wirklichkeit konfrontiert sieht, die, abgelöst, in ihrer platten Trivialität
sinnleer erscheint, während das ideenhaft-universalistische Erbe hoffnungslos in ein-
geschobenen didaktischen Passagen nachklingt. Auf der subjektiven Seite erzeugt
dies Angst, die sich in eine groteske Verzerrung der quasinaturalistischen Wiederga-
be der Welt umsetzt. Das Dämonische bricht im „Ring“ schließlich massiv durch die
zerstörte Ordnung durch. Der krude Spaß mündet in eine alles vernichtende
Schlächterei. — Das Gegenstück dazu bietet die Studie zu „Werther“ und Gottfried
Arnold („Zur Genese und Aporie des modernen Individualitätsbegriffs“, 1976). Bei
Arnold wird die subjektive Seite im geist-erfüllten „Ketzer“ verabsolutiert, im
„Werther“ erscheint sie dann säkularisiert in maßlos ichbezogener Individualität,
doch nicht ohne daß der Held in seinem Leiden sich in eigentümlichen Kontami-
nationen christliche Vorstellungen anverwandeln würde.
Daß die Frage der Subjektivität in den Romantikstudien Brinkmanns eine
Leitrolle spielen mußte, versteht sich vom zentralen Vorwurf her, der die Romantik
schon bei den zeitgenössischen Denkern in Mißkredit gebracht hat: dem Vorwurf des
schrankenlosen Subjektivismus mit seiner über die Wirklichkeit hinweggehenden
transzendentalphilosophisch-poetischen Bewegung. In der Einführung zu dem von
ihm organisierten und geleiteten Symposion „Romantik in Deutschland“ (1978)
macht Brinkmann dies zur kritischen Hürde für ein literaturgeschichtlich angemes-
senes Verständnis. Was hier als unerbittlich fragende Herausforderung erscheint, hatte
freilich in dem Aufsatz über „Deutsche Frühromantik und Französische Revolution“
(1974) unter einem bestimmten Aspekt schon eine subtil-kühne Antwort gefunden:
und zwar im Sinne eines metaphorisch-utopischen Durchbruchs durch den Antago-
nismus von Revolution und reaktionärer Rückwendung.
Dem steht hart die Studie über die „Nachtwachen“ von Bonaventura alias
Klingemann gegenüber („Nachtwachen von Bonaventura. Kehrseite der Frühro-
mantik?“ 1966). Hier wird grausig textnah vor Augen geführt, was geschieht, wenn
man das Movens der transzendentalen Bewegung, die Ironie, radikalisiert, so daß im
absoluten Zweifel an der subjektiven Erkenntniskraft sich die Welt wie das Ich in
Nichts auflösen.
Einen Nachklang findet die Thematik in Brinkmanns Analyse der poetologi-
schen Bedingungen für das Denken und Dichten um die Jahrhundertwende. Hier
nun ergreift die Skepsis die Sprache selbst, man empfindet, daß die Wirklichkeit von
Begriffen verstellt und erstickt wird. Und so geht es dem Interpreten dann darum,
aufzudecken, welche Chancen bestehen, die Blockade zu überwinden, auf der einen
Seite etwa über eine indirekte, quer zum Wörtlichen sich emsteilende Sinnvermitt-
lung bei Hofmannsthal („Hofmannsthal und die Sprache“, 1961), auf der andern
über das Symbolische in der expressionistischen Lyrik („‘Abstrakte’ Lyrik im Expres-
sionismus und die Möglichkeit symbolischer Aussage“, 1965).
Der wohl bedeutsamste, sicherlich tiefgründigste Aufsatz Brinkmanns zum Ver-
hältnis von Wort und Wahrheit trägt den Titel „Dichtung als Vollzug“ (1980); er zeigt
an den „Hymnen an die Nacht“ des Novalis, inwiefern es der Dichtung gelingen
kann, dadurch etwas geschehen zu lassen, daß sie es ins Wort bringt: „das Subjekt“
ist dabei „zugleich das Objekt ... , an dem sich ein Vorgang ereignet“. So kann er zur
 
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