Ahmet Cavuldak
Graf Kielmansegg nicht aufgefallen sein könnte, weil er für ihn als Nachfahre Phi-
lipp Melanchthons allzu selbstverständlich war.
Als meine Neugierde im Seminar geweckt war, erkundigte ich mich in der Bi-
bliothek nach dem wissenschaftlichen Werk Graf Kielmanseggs. Die konzentrierte
Lektüre von Texten ist natürlich für die Wissensaneignung und Herausbildung
analytischer Fähigkeiten unumgänglich; sie ist denn auch unser aller Tagesbrot.
Daneben ist aber auch das lebendige Gespräch mit einem Lehrer zweifelsohne
von unschätzbarem pädagogischem Wert. Doch wenn beides zusammenkommt
und einander befruchtet, sind wohl die Bedingungen für einen intellektuellen Rei-
fungsprozess am günstigsten - es sei denn, man ist ein Genie und braucht weder
das eine noch das andere.
Mit einiger Verblüffung stellte ich dann fest, dass Graf Kielmansegg gar
kein studierter Politikwissenschaftler war; später erfuhr ich, dass dies für die
deutschen Politikwissenschaftler der ersten und zweiten Generation keineswegs
ungewöhnlich war, sie waren Historiker, Juristen oder Soziologen. Graf Kiel-
mansegg hatte in Bonn, Kiel und Tübingen Jura und aus Interesse nebenbei
Geschichte studiert, dann aber im Fach Neuere Geschichte promoviert. Die
Anfänge des wissenschaftlichen Werdegangs des jungen Grafen Kielmansegg
deuten denn auch auf eine traditionelle Laufbahn als Historiker hin. Seine erste
Veröffentlichung erfolgt gewiss nicht von ungefähr in den „Vierteljahreshefte(n)
für Zeitgeschichte“, die damals von Hans Rothfels und Theodor Eschenburg
herausgegeben wurden, und zwar bereits 1960.1 Da ist unser Geburtstagskind
gerade einmal 23 Jahre alt und noch am Studieren. Denn der Essay über „die
militärisch-politische Tragweite der Hoßbach-Besprechung“ vom 5. November
1937 entsteht auf der Grundlage einer Seminararbeit. Von solchen frühreifen
Studenten kann unsereiner leider wohl nur träumen. Immerhin dürfte Graf
Kielmansegg einen gewissen Erkenntnisvorsprung dadurch gehabt haben, dass
der Vater Johann Adolf Graf Kielmansegg als Offizier der Wehrmacht Akteur
der analysierten Geschichte war und in dieser Eigenschaft über Wissensbestände
verfügte, die der Sohn abrufen konnte.
Nach dem Staatsexamen begab sich Graf Kielmansegg an die Arbeit an seiner
Dissertation bei dem konservativen Preußen-Historiker Walter Hubatsch in Bonn.
Das Thema lautete: „Freiherr vom Stein und die Zentralverwaltung der Verbün-
deten Mächte in den Jahren 1813 und 1814“. Ursprünglich wollte sich Graf Kiel-
mansegg, wie er mir bei Gelegenheit anvertraute, mit dem „Nationalsozialismus
und der Dritten Gewalt - Justiz - in der frühen Phase des Dritten Reiches“ ausei-
nandersetzen. Sein Vorschlag wurde leider von Herrn Hubatsch nicht akzeptiert,
weil dieser als Hauptherausgeber der „Briefe und Denkschriften des Freiherrn
1 Graf Kielmansegg, Peter, 1960: Die militärisch-politische Tragweite der Hoßbach-Bespre-
chung, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 8. Jahrgang, 3. Heft, S. 268-275.
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Graf Kielmansegg nicht aufgefallen sein könnte, weil er für ihn als Nachfahre Phi-
lipp Melanchthons allzu selbstverständlich war.
Als meine Neugierde im Seminar geweckt war, erkundigte ich mich in der Bi-
bliothek nach dem wissenschaftlichen Werk Graf Kielmanseggs. Die konzentrierte
Lektüre von Texten ist natürlich für die Wissensaneignung und Herausbildung
analytischer Fähigkeiten unumgänglich; sie ist denn auch unser aller Tagesbrot.
Daneben ist aber auch das lebendige Gespräch mit einem Lehrer zweifelsohne
von unschätzbarem pädagogischem Wert. Doch wenn beides zusammenkommt
und einander befruchtet, sind wohl die Bedingungen für einen intellektuellen Rei-
fungsprozess am günstigsten - es sei denn, man ist ein Genie und braucht weder
das eine noch das andere.
Mit einiger Verblüffung stellte ich dann fest, dass Graf Kielmansegg gar
kein studierter Politikwissenschaftler war; später erfuhr ich, dass dies für die
deutschen Politikwissenschaftler der ersten und zweiten Generation keineswegs
ungewöhnlich war, sie waren Historiker, Juristen oder Soziologen. Graf Kiel-
mansegg hatte in Bonn, Kiel und Tübingen Jura und aus Interesse nebenbei
Geschichte studiert, dann aber im Fach Neuere Geschichte promoviert. Die
Anfänge des wissenschaftlichen Werdegangs des jungen Grafen Kielmansegg
deuten denn auch auf eine traditionelle Laufbahn als Historiker hin. Seine erste
Veröffentlichung erfolgt gewiss nicht von ungefähr in den „Vierteljahreshefte(n)
für Zeitgeschichte“, die damals von Hans Rothfels und Theodor Eschenburg
herausgegeben wurden, und zwar bereits 1960.1 Da ist unser Geburtstagskind
gerade einmal 23 Jahre alt und noch am Studieren. Denn der Essay über „die
militärisch-politische Tragweite der Hoßbach-Besprechung“ vom 5. November
1937 entsteht auf der Grundlage einer Seminararbeit. Von solchen frühreifen
Studenten kann unsereiner leider wohl nur träumen. Immerhin dürfte Graf
Kielmansegg einen gewissen Erkenntnisvorsprung dadurch gehabt haben, dass
der Vater Johann Adolf Graf Kielmansegg als Offizier der Wehrmacht Akteur
der analysierten Geschichte war und in dieser Eigenschaft über Wissensbestände
verfügte, die der Sohn abrufen konnte.
Nach dem Staatsexamen begab sich Graf Kielmansegg an die Arbeit an seiner
Dissertation bei dem konservativen Preußen-Historiker Walter Hubatsch in Bonn.
Das Thema lautete: „Freiherr vom Stein und die Zentralverwaltung der Verbün-
deten Mächte in den Jahren 1813 und 1814“. Ursprünglich wollte sich Graf Kiel-
mansegg, wie er mir bei Gelegenheit anvertraute, mit dem „Nationalsozialismus
und der Dritten Gewalt - Justiz - in der frühen Phase des Dritten Reiches“ ausei-
nandersetzen. Sein Vorschlag wurde leider von Herrn Hubatsch nicht akzeptiert,
weil dieser als Hauptherausgeber der „Briefe und Denkschriften des Freiherrn
1 Graf Kielmansegg, Peter, 1960: Die militärisch-politische Tragweite der Hoßbach-Bespre-
chung, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 8. Jahrgang, 3. Heft, S. 268-275.
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