Ahmet Cavuldak
Absicht sprechen, die das große Werk der Ernüchterung, das ja der Krieg selbst
auch immer ist, durchdringt.
Es sei mir erlaubt, die Antwort Graf Kielmanseggs auf die Schlüsselfrage
der deutschen Kriegsschuld kurz wiederzugeben, weil sie beispielhaft von seiner
Abwägungskunst und intellektuellen Redlichkeit Zeugnis ablegt. Dass sie durch
die neueren und vielbeachteten Forschungsbeiträge von Christopher Clark und
Herfried Münkler im Kern eher bestätigt worden ist5, zeigt zudem, wie verläss-
lich und belastbar die politische Urteilskraft unseres Jubilars sein kann. Graf
Kielmansegg stellt in seiner scharfsinnigen Analyse des Konfliktgeschehens bei
den militärischen und politischen Akteuren eine „Hypertrophie des Konflikt-
denkens und des Sicherheitsstrebens“ und analog dazu einen „Mangel an kriti-
scher Rationalität“ fest.6 Gerade in Deutschland sei ein „spezifisches Ethos des
Kampfes“ lebendig gewesen, das sich aus der noch überwiegend „feudal-aris-
tokratischen Prägung der Führungsgruppen“ erklären lasse. Dazu komme die
Verblendungsmacht des deutschen Nationalismus, der gleichermaßen in der
Furcht vor Unterlegenheit wie in Gefühlen der Überlegenheit wurzelte. Ver-
hängnisvolle Fehlkalkulationen seien dann die Folge gewesen; um einer fiktiven,
imaginierten Existenzgefahr zu entgehen, sei Deutschland in eine reale Existenz-
gefahr hineingelaufen.7 Das expansive Hegemonialstreben der deutschen Poli-
tik sei eigentlich defensiv gewesen, geboren aus der Furcht; und der Furcht in
der Politik wohne nun einmal eine aggressive Tendenz inne.8 Gleichwohl könne
man nicht behaupten, die deutsche Politik hätte den Krieg unbedingt gewollt
und geplant. Der deutsche „Blankoscheck“ an Österreich zur Aktion gegen Ser-
bien sei das Fundament einer Politik des Risikos gewesen, an der andere euro-
päische Mächte gehörig Anteil genommen hätten, und als solcher eben etwas
anderes als der zielstrebige Entschluss, einen europäischen Krieg zu entfesseln.
Dem entsprechend differenziert schätzt Graf Kielmansegg die Motive der zen-
tralen und tragischen Entscheidungsfigur ein: „Es ist unmöglich, mit Sicher-
heit zu sagen, ob der Reichskanzler (gemeint ist Bethmann-Hollweg, AC), als
er Österreich freie Hand gab, im letzten Grunde doch darauf vertraute, dass es
5 Clark, Christopher, 2013: Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München,
Deutsche Verlags-Anstalt; Münkler, Herfried, 2013: Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918,
Berlin, Rowohlt. Im Übrigen hat Graf Kielmansegg auf dem Höhepunkt der vor allem durch
das Buch von Christopher Clark erneut entfachten Kriegsschulddebatte im Jahr 2014 einen
großen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, in dem er sich ent-
schieden gegen einfache Urteile über Schuld und Unschuld am Ersten Weltkrieg ausspricht
und eine analytisch differenzierte Sichtweise bemüht; vgl. Graf Kielmansegg, Peter: Schuld
und Halbschuld, in: FAZ vom 30. Juni 2014, Nr. 148, S. 6.
6 Graf Kielmansegg, Peter, 1980: Deutschland und der Erste Weltkrieg, Stuttgart, Klett-Cot-
ta, S. 434.
7 Ebd., S. 13.
8 Ebd., S. 434.
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Absicht sprechen, die das große Werk der Ernüchterung, das ja der Krieg selbst
auch immer ist, durchdringt.
Es sei mir erlaubt, die Antwort Graf Kielmanseggs auf die Schlüsselfrage
der deutschen Kriegsschuld kurz wiederzugeben, weil sie beispielhaft von seiner
Abwägungskunst und intellektuellen Redlichkeit Zeugnis ablegt. Dass sie durch
die neueren und vielbeachteten Forschungsbeiträge von Christopher Clark und
Herfried Münkler im Kern eher bestätigt worden ist5, zeigt zudem, wie verläss-
lich und belastbar die politische Urteilskraft unseres Jubilars sein kann. Graf
Kielmansegg stellt in seiner scharfsinnigen Analyse des Konfliktgeschehens bei
den militärischen und politischen Akteuren eine „Hypertrophie des Konflikt-
denkens und des Sicherheitsstrebens“ und analog dazu einen „Mangel an kriti-
scher Rationalität“ fest.6 Gerade in Deutschland sei ein „spezifisches Ethos des
Kampfes“ lebendig gewesen, das sich aus der noch überwiegend „feudal-aris-
tokratischen Prägung der Führungsgruppen“ erklären lasse. Dazu komme die
Verblendungsmacht des deutschen Nationalismus, der gleichermaßen in der
Furcht vor Unterlegenheit wie in Gefühlen der Überlegenheit wurzelte. Ver-
hängnisvolle Fehlkalkulationen seien dann die Folge gewesen; um einer fiktiven,
imaginierten Existenzgefahr zu entgehen, sei Deutschland in eine reale Existenz-
gefahr hineingelaufen.7 Das expansive Hegemonialstreben der deutschen Poli-
tik sei eigentlich defensiv gewesen, geboren aus der Furcht; und der Furcht in
der Politik wohne nun einmal eine aggressive Tendenz inne.8 Gleichwohl könne
man nicht behaupten, die deutsche Politik hätte den Krieg unbedingt gewollt
und geplant. Der deutsche „Blankoscheck“ an Österreich zur Aktion gegen Ser-
bien sei das Fundament einer Politik des Risikos gewesen, an der andere euro-
päische Mächte gehörig Anteil genommen hätten, und als solcher eben etwas
anderes als der zielstrebige Entschluss, einen europäischen Krieg zu entfesseln.
Dem entsprechend differenziert schätzt Graf Kielmansegg die Motive der zen-
tralen und tragischen Entscheidungsfigur ein: „Es ist unmöglich, mit Sicher-
heit zu sagen, ob der Reichskanzler (gemeint ist Bethmann-Hollweg, AC), als
er Österreich freie Hand gab, im letzten Grunde doch darauf vertraute, dass es
5 Clark, Christopher, 2013: Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München,
Deutsche Verlags-Anstalt; Münkler, Herfried, 2013: Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918,
Berlin, Rowohlt. Im Übrigen hat Graf Kielmansegg auf dem Höhepunkt der vor allem durch
das Buch von Christopher Clark erneut entfachten Kriegsschulddebatte im Jahr 2014 einen
großen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, in dem er sich ent-
schieden gegen einfache Urteile über Schuld und Unschuld am Ersten Weltkrieg ausspricht
und eine analytisch differenzierte Sichtweise bemüht; vgl. Graf Kielmansegg, Peter: Schuld
und Halbschuld, in: FAZ vom 30. Juni 2014, Nr. 148, S. 6.
6 Graf Kielmansegg, Peter, 1980: Deutschland und der Erste Weltkrieg, Stuttgart, Klett-Cot-
ta, S. 434.
7 Ebd., S. 13.
8 Ebd., S. 434.
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