III. Veranstaltungen
ses tiefgreifend wandelt. Auf diesen Wandel möchte ich noch kurz eingehen und
werde mich in diesem viel zu weiten Feld an den Positionen von Karl Jaspers und
Hannah Arendt festhalten.
Jaspers hat seine Rede mit einem ausdrücklichen Dank an die Buchhändler
begonnen, die den Friedenspreis nach dem Zweiten Weltkrieg gestiftet haben. Er
erinnert ausdrücklich an die lange Kooperations-Geschichte von Schriftstellern,
Druckern, Verlegern, Buchhändlern und Lesern, die den öffentlichen Raum des
Geistes geschaffen haben, „in dem durch das Chaos die Wahrheit sich hervor-
treibt“. Damit hat er nicht nur sein Ja zur Öffentlichkeit bestätigt, sondern auch zu
den Printmedien, die sie hervorbringen.
Arendt beschreibt Jaspers’ Öffentlichkeit als einen Raum, der durch die Qua-
litäten der Helle und Weite bestimmt ist. Sie benutzt in diesem Zusammenhang
das Wort „Geisterreich“, das sich Jaspers im Dialog mit anderen großen Philoso-
phen geschaffen habe:
„Um den Raum der humanitas, der seine Heimat wurde, zu erschließen, be-
durfte Jaspers der großen Philosophen, und diese Hilfe möchte man meinen, hat
er ihnen vergolten, indem er mit ihnen »ein Geisterreich« gründete, in welchem
sie noch einmal als sprechende - aus dem Totenreich her sprechende - Perso-
nen auftreten, die, weil sie dem Zeitlichen entronnen sind, zu immeiwährenden
Raumgenossen im Geistigen werden können.“
Jaspers hat dieses Geisterreich geschaffen, so Arendt, indem er den Weg der
Tradition und des zeitlichen Nacheinander verließ, um sich in Freiheit und Un-
abhängigkeit selbst seine Gesprächspartner zu wählen und dabei zeitliche Ferne in
geistige Nähe verwandelte. Der Begriff des „Geisterreichs“, den Arendt als dritten
Begriff neben humanitas und Öffentlichkeit stellt, geht auf die Antike zurück. Er
wurde in der Renaissance von italienischen Humanisten weiterentwickelt und von
Martin Opitz 1619 während seines Studiums an der Universität Heidelberg in die
deutsche Kultur übernommen.4
Wie für Jaspers und Arendt war auch für die frühen Humanisten das Geis-
terreich ein Gegenbegriff zu „Tradition“. Während Tradition für eine zeitliche
Weitergabe von Wissen und Werten von Generation zu Generation steht, bei der
Amtsautoritäten und Lehrmeinungen eine gewichtige Rolle spielen, kommen im
Geisterreich der humanistischen Bibliothek die Stimmen der Lebenden und To-
ten in einer übergreifenden Zeitgenossenschaft zusammen. Machiavelli beschreibt
den Eintritt in seine Bibliothek als Eintritt in eine Parallelwelt: „In festlicher Klei-
dung betrete ich die Gesellschaft der großen Meister, wo ich freundlich empfan-
gen und geistig genährt werde. Ich frage sie freimütig und sie antworten mir aus
ihrer Menschlichkeit heraus. Solange wie ich in ihrer Gesellschaft bin, fühle ich kei-
4 Karl Otto Brogsitter, Das Hohe Geistergespräch, Bonn: Bouvier und Co, 1958, 239-245.
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ses tiefgreifend wandelt. Auf diesen Wandel möchte ich noch kurz eingehen und
werde mich in diesem viel zu weiten Feld an den Positionen von Karl Jaspers und
Hannah Arendt festhalten.
Jaspers hat seine Rede mit einem ausdrücklichen Dank an die Buchhändler
begonnen, die den Friedenspreis nach dem Zweiten Weltkrieg gestiftet haben. Er
erinnert ausdrücklich an die lange Kooperations-Geschichte von Schriftstellern,
Druckern, Verlegern, Buchhändlern und Lesern, die den öffentlichen Raum des
Geistes geschaffen haben, „in dem durch das Chaos die Wahrheit sich hervor-
treibt“. Damit hat er nicht nur sein Ja zur Öffentlichkeit bestätigt, sondern auch zu
den Printmedien, die sie hervorbringen.
Arendt beschreibt Jaspers’ Öffentlichkeit als einen Raum, der durch die Qua-
litäten der Helle und Weite bestimmt ist. Sie benutzt in diesem Zusammenhang
das Wort „Geisterreich“, das sich Jaspers im Dialog mit anderen großen Philoso-
phen geschaffen habe:
„Um den Raum der humanitas, der seine Heimat wurde, zu erschließen, be-
durfte Jaspers der großen Philosophen, und diese Hilfe möchte man meinen, hat
er ihnen vergolten, indem er mit ihnen »ein Geisterreich« gründete, in welchem
sie noch einmal als sprechende - aus dem Totenreich her sprechende - Perso-
nen auftreten, die, weil sie dem Zeitlichen entronnen sind, zu immeiwährenden
Raumgenossen im Geistigen werden können.“
Jaspers hat dieses Geisterreich geschaffen, so Arendt, indem er den Weg der
Tradition und des zeitlichen Nacheinander verließ, um sich in Freiheit und Un-
abhängigkeit selbst seine Gesprächspartner zu wählen und dabei zeitliche Ferne in
geistige Nähe verwandelte. Der Begriff des „Geisterreichs“, den Arendt als dritten
Begriff neben humanitas und Öffentlichkeit stellt, geht auf die Antike zurück. Er
wurde in der Renaissance von italienischen Humanisten weiterentwickelt und von
Martin Opitz 1619 während seines Studiums an der Universität Heidelberg in die
deutsche Kultur übernommen.4
Wie für Jaspers und Arendt war auch für die frühen Humanisten das Geis-
terreich ein Gegenbegriff zu „Tradition“. Während Tradition für eine zeitliche
Weitergabe von Wissen und Werten von Generation zu Generation steht, bei der
Amtsautoritäten und Lehrmeinungen eine gewichtige Rolle spielen, kommen im
Geisterreich der humanistischen Bibliothek die Stimmen der Lebenden und To-
ten in einer übergreifenden Zeitgenossenschaft zusammen. Machiavelli beschreibt
den Eintritt in seine Bibliothek als Eintritt in eine Parallelwelt: „In festlicher Klei-
dung betrete ich die Gesellschaft der großen Meister, wo ich freundlich empfan-
gen und geistig genährt werde. Ich frage sie freimütig und sie antworten mir aus
ihrer Menschlichkeit heraus. Solange wie ich in ihrer Gesellschaft bin, fühle ich kei-
4 Karl Otto Brogsitter, Das Hohe Geistergespräch, Bonn: Bouvier und Co, 1958, 239-245.
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