Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2002
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Gesamtsitzung am 9. Februar 2002
DOI Artikel:
Dosch, Hans Günter: Musikalische Harmonie - Physik, Physiologie, Psychologie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0050
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9. Februar 2002 | 61

sehr schön demonstrieren. Diese Verschmelzung vieler Obertöne zu einem einheit-
lichen Klang tritt aber nur auf, wenn die einzelnen Komponenten im harmonischen
Verhältnis zum Grundton stehen, also ihre Frequenz em ganzzahliges Vielfaches des
Grundtons ist. Bei „gestreckten Obertönen“ z.B. bildet sich kein einheitlicher Klang.
Grundtonerkennung.
Lange war die Meinung vorherrschend, dass die Frequenz des Grundtons die Ton-
höhe bestimmt und die Obertöne nur die Klangfarbe. Allerdings wollte schon
Schönberg die Trennung in Tonhöhe und Klangfarbe nicht so einfach zulassen. Es
stellt sich tatsächlich heraus, dass die Tonhöhe unverändert bleibt, wenn man aus
einem komplexen Ton den Grundton und benachbarte Obertöne wegschneidet. Was
tatsächlich die Tonhöhe bestimmt, ist immer noch umstritten und lässt sich wohl nur
mit Hilfe neurophysiologischer Untersuchungen näher festlegen. Ein hoffnungsvol-
les Instrument dazu ist das Magnetoenzephalogramm, bei dem die durch die Ner-
venströme erzeugten Magnetfelder gemessen werden. Wir sind selbst an solchen
Untersuchungen beteiligt13.
Basse fondamentale
Der „basse fondamentale“ von Rameau ist genau der unter Umständen fehlende
Grundton eines Akkords. Und tatsächlich lässt sich zu jedem Stück die Melodie des
Fundamentalbasses, die ausWechseln zwischen Tonica, Dominanter und Subdomi-
nanter der betreffenden Tonart besteht, sehr leicht konstruieren. Dies wurde an den
ersten Takten von Mozart, KV 545 vorgefuhrt.
Zusammenfassung
Die vorgestellten Begriffe lassen sich sehr schön an einem 4-stimmigen Choral von
Bach akustisch — und mit Hilfe des Fourieranalysators auch optisch — darstellen. Ein-
mal werden nur die Intervalle zwischen den Noten gestreckt. Dabei tritt dann sen-
sorisch Dissonanz und melodische Anharmonie auf, die einzelnen Tone verschmel-
zen aber, da die Obertöne harmonisch sind. In einer zweiten Änderung wurden die
musikalischen Intervalle beibehalten, aber die Obertöne gestreckt. Hier herrscht
ebenfalls sensorische Dissonanz, aber melodische Harmonie. Allerdings verschmelzen
die Töne nicht, es klingt ein bisschen wie ein Glockenspiel. In einer dritten Ände-
rung wurden die musikalischen Intervalle und die Obertöne im gleichen Masse
gestreckt. Es liegt dann sensorische Konsonanz vor, d. h. keine Obertöne reiben
aneinander. Hingegen gibt es keine melodische Harmonie, und die Töne ver-
schmelzen nicht. Wegen des Zerfalls der Einzeltöne scheint der Choral in der zwei-
ten und dritten Änderung viel mehr als 4 Stimmen zu enthalten.

13 P. Schneider, M. Scherg, H. G. Dosch, H.J. Specht, A. Gutschalk, and A. Rupp. Morphology of
heschl’s gyrus reflects enhanced activation in the auditory cortex of musicians. 2002.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften