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ANTRITTSREDEN
„Nebenbei“ arbeitete ich als Tutor für Physik und Mathematik und an meiner
Diplomarbeit über Ladungstransport in organischen Flüssigkeiten. Nach dem
Diplom, das ich nach neun Semestern erlangte, wechselte ich nach Köln. Ich wollte
gern mal aus Göttingen raus und suchte em Promotionsthema im Bereich der Tief-
temperaturphysik. Dies erhielt ich bei Gunther v. Minnigerode aufVermittlung von
Frank Steglich, der damals Assistent bei „Minni“, wie wir ihn nannten, war und auch
dann meine Doktorarbeit betreut hat. In Köln lernte ich „richtig“ Physik und Expe-
rimentiertechnik. Anfang der 70’er Jahre war gefunden worden — übrigens unter
wesentlicher Beteiligung unseres Akademiemitglieds Klaus Dransfeld —, dass in Glä-
sern, wie zum Beispiel üblichem Fensterglas, aufgrund der ungeordneten Anordnung
der Atome einige wenige dieser Atome zwei benachbarte Plätze einnehmen können,
quasi wie in einer Doppelmulde. Diese Konfigurationen führen bei tiefen Tempera-
turen, also nahe am absoluten Temperaturnullpunkt von -273 °C, zu ungewöhn-
lichen physikalischen Eigenschaften. Die Frage war, ob solche Anomalien auch in
Halbleitern oder gar in elektrisch leitenden, metallischen Gläsern vorhanden sind.
Ich habe dieses Problem mit Messungen der Wärmeleitfähigkeit an dünnen Schich-
ten bearbeitet — eine experimentell schwierige Aufgabe, bei der ich manche Irrwege
beschritt. Schließlich gelang es mir, eine Reihe von neuen Resultaten zu finden, und
ich wurde 1976 promoviert. In meiner Postdoc-Zeit am Centre des Recherches sur
les Tres Basses Temperatures am CNRS in Grenoble beschäftigte ich mich mit
„Spingläsern“. Dabei handelt es sich um magnetische Materialien, bei denen Nord-
und Siidpole der atomaren Elementarmagnete, „Spins“ genannt, nicht wie etwa
beim Eisen alle in Reih und Glied parallel angeordnet sind, sondern in alle mög-
lichen Richtungen gleichsam „eingefroren“ sind, also eine Richtungsunordnung
zeigen. Die grobe Analogie zur Unordnung der Positionen der Atome in echten Glä-
sern hat den Namen „Spingläser“ geprägt. Übrigens hat die theoretische Beschrei-
bung des komplexen magnetischen Verhaltens von Spingläsern zum Konzept der
neuronalen Netze geführt. Dies zeigt einmal mehr, wie stark — und in den allermei-
sten Fällen unerwartet — die Grundlagenforschung in der Physik neue Gebiete ent-
wickelt und andere Disziplinen befruchtet.
An der RWTH Aachen habe ich meine Arbeiten zu Gläsern und Spingläsern
fortgesetzt und um neue Messmethoden erweitert. Ich konnte am Lehrstuhl von
Wilhelm Sander meine eigene kleine Gruppe aufbauen. Mit seiner steten Unter-
stützung und der großzügigen Förderung durch die DFG im Rahmen des Sonder-
forschungsbereichs „Magnetische Momente und Unordnungsphänomene in Metal-
len“ konnten wir eine Reihe hübscher Ergebnisse erzielen, die zum Teil in meine
Habilitationsschrift „Niederenergetische Anregungen in amorphen Metallen“ ein-
flossen. Für diese Arbeit erhielt ich 1983 den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis. Ich hatte
das große Glück, 1985 einen Ruf nach Karlsruhe zu erhalten, als Nachfolger unse-
res Akademiemitglieds Werner Buckel. Seit 1986, immerhin schon 16 Jahre, wohne
ich nun im „Ländle“.
Zur Zeit beschäftige ich mich hauptsächlich mit zwei Gebieten der Festkör-
perphysik. Hierzu jeweils ein paar kurze Erläuterungen. Erstens, wenn wir die Eigen-
schaften von Metallen oder Halbleitern beschreiben, dann tun wir das meist in einem
ANTRITTSREDEN
„Nebenbei“ arbeitete ich als Tutor für Physik und Mathematik und an meiner
Diplomarbeit über Ladungstransport in organischen Flüssigkeiten. Nach dem
Diplom, das ich nach neun Semestern erlangte, wechselte ich nach Köln. Ich wollte
gern mal aus Göttingen raus und suchte em Promotionsthema im Bereich der Tief-
temperaturphysik. Dies erhielt ich bei Gunther v. Minnigerode aufVermittlung von
Frank Steglich, der damals Assistent bei „Minni“, wie wir ihn nannten, war und auch
dann meine Doktorarbeit betreut hat. In Köln lernte ich „richtig“ Physik und Expe-
rimentiertechnik. Anfang der 70’er Jahre war gefunden worden — übrigens unter
wesentlicher Beteiligung unseres Akademiemitglieds Klaus Dransfeld —, dass in Glä-
sern, wie zum Beispiel üblichem Fensterglas, aufgrund der ungeordneten Anordnung
der Atome einige wenige dieser Atome zwei benachbarte Plätze einnehmen können,
quasi wie in einer Doppelmulde. Diese Konfigurationen führen bei tiefen Tempera-
turen, also nahe am absoluten Temperaturnullpunkt von -273 °C, zu ungewöhn-
lichen physikalischen Eigenschaften. Die Frage war, ob solche Anomalien auch in
Halbleitern oder gar in elektrisch leitenden, metallischen Gläsern vorhanden sind.
Ich habe dieses Problem mit Messungen der Wärmeleitfähigkeit an dünnen Schich-
ten bearbeitet — eine experimentell schwierige Aufgabe, bei der ich manche Irrwege
beschritt. Schließlich gelang es mir, eine Reihe von neuen Resultaten zu finden, und
ich wurde 1976 promoviert. In meiner Postdoc-Zeit am Centre des Recherches sur
les Tres Basses Temperatures am CNRS in Grenoble beschäftigte ich mich mit
„Spingläsern“. Dabei handelt es sich um magnetische Materialien, bei denen Nord-
und Siidpole der atomaren Elementarmagnete, „Spins“ genannt, nicht wie etwa
beim Eisen alle in Reih und Glied parallel angeordnet sind, sondern in alle mög-
lichen Richtungen gleichsam „eingefroren“ sind, also eine Richtungsunordnung
zeigen. Die grobe Analogie zur Unordnung der Positionen der Atome in echten Glä-
sern hat den Namen „Spingläser“ geprägt. Übrigens hat die theoretische Beschrei-
bung des komplexen magnetischen Verhaltens von Spingläsern zum Konzept der
neuronalen Netze geführt. Dies zeigt einmal mehr, wie stark — und in den allermei-
sten Fällen unerwartet — die Grundlagenforschung in der Physik neue Gebiete ent-
wickelt und andere Disziplinen befruchtet.
An der RWTH Aachen habe ich meine Arbeiten zu Gläsern und Spingläsern
fortgesetzt und um neue Messmethoden erweitert. Ich konnte am Lehrstuhl von
Wilhelm Sander meine eigene kleine Gruppe aufbauen. Mit seiner steten Unter-
stützung und der großzügigen Förderung durch die DFG im Rahmen des Sonder-
forschungsbereichs „Magnetische Momente und Unordnungsphänomene in Metal-
len“ konnten wir eine Reihe hübscher Ergebnisse erzielen, die zum Teil in meine
Habilitationsschrift „Niederenergetische Anregungen in amorphen Metallen“ ein-
flossen. Für diese Arbeit erhielt ich 1983 den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis. Ich hatte
das große Glück, 1985 einen Ruf nach Karlsruhe zu erhalten, als Nachfolger unse-
res Akademiemitglieds Werner Buckel. Seit 1986, immerhin schon 16 Jahre, wohne
ich nun im „Ländle“.
Zur Zeit beschäftige ich mich hauptsächlich mit zwei Gebieten der Festkör-
perphysik. Hierzu jeweils ein paar kurze Erläuterungen. Erstens, wenn wir die Eigen-
schaften von Metallen oder Halbleitern beschreiben, dann tun wir das meist in einem