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menhang mit dieser Aufgabe fuhren ihn rund um die Welt. 1985 bestellt ihn der
Tübinger Universitätspräsident Theis als wissenschaftlichen Leiter des von ihm am
Heinrich Fabri-Institut in Blaubeuren eingerichteten Geistes- und Sozialwissen-
schaftlichen Forschungszentrums mit der Aufgabe, interdisziplinäre Kolloquien zum
Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften zu organisieren. Und er hat diese
Arbeit auch nach seiner Emeritierung 1986 weitergeführt.
Brinkmanns wissenschaftliche und wissenschaftsorganisatorische Verdienste
sind vielfältig gewürdigt worden. Seine Persönlichkeit: seine Integrität, seine unbe-
stechliche Urteilskraft, die doch immer den Ausgleich suchte, seine geistreiche
Gesprächskunst mit ihren witzigen Pointierungen, seine liebenswürdige Mensch-
lichkeit - dies hat ihm weit über die Fachgrenzen hinaus Sympathien und Bewun-
derung eingebracht. Ehrungen sind nicht ausgeblieben. 1983 wird er zum Korre-
spondierenden Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt,
1986 als Ordentliches Mitglied in unsere Akademie aufgenommen. Zum 60. und
zum 70. Geburtstag werden ihm Festschriften gewidmet („Literaturwissenschaft und
Geistesgeschichte“, 1981; „Zur Ästhetik der Moderne“, 1992). Ein Heft mit den
Reden von Jürgen Brummack, Rektor Eberhard Schaich und Walter Jens, die bei der
Feier der Universität Tübingen zu seinem 80. Geburtstag gehalten worden sind, ist
mit einem Schriftenverzeichnis, besorgt von Reinhard Tgahrt, sowie mit Brink-
manns Antrittsrede vor unserer Akademie 2001 als Privatdruck erschienen.
Fragt man nach dem, was in Sonderheit Richard Brinkmanns wissenschaft-
liches Profil ausmacht, so ist wohl als erstes seine Sensibilität für den mehrschichti-
gen und inner- wie außerliteransch verflochtenen Charakter dichterischen Spre-
chens gegenüber unserem vereindeutigenden Begriffsapparat zu nennen. Es versteht
sich von daher von selbst, daß er sowohl allem Ideologischen wie jedem Pauschalur-
teil überhaupt abhold sein mußte. Auch wenn er etwas positiv formuliert, ist er gleich
dabei, die Grenze einer solchen Aussage bewußt zu machen. Sem Interpretationsstil
übt den Balanceakt zwischen der wissenschaftlichen Begrifflichkeit und der leben-
digen inneren Spannung, die das Niveau literarischer Texte ausmacht.
Meisterhaft wird dies schon in der Habilitationsschrift „Wirklichkeit und Illu-
sion“ gehandhabt. Der Begriff‘Realismus’ verfehlt das mit ihm Gemeinte, wenn man
darin lediglich die Intention sieht, das Tatsächliche wiederzugeben; es gehe vielmehr
um die Frage, wie das Subjekt dieser Tatsächlichkeit habhaft und gerecht zu werden
vermag. Die Möglichkeiten sind offen, und auch wenn wieder neue oder alte Ganz-
heiten anvisiert werden, stehen sie in diesem fragenden Prozeß. Brinkmann hat dies
in der Auseinandersetzung mit den Kritikern seines Buches immer neu verständlich
zu machen versucht. Er mußte diejenigen irritieren, die in seinen Arbeiten handfeste
Ergebnisse suchten und statt dessen auf offene Fragen stießen. Hier traf er sich mit
seinem Freund Hugo Kuhn.
Mit der Subjekt-Objekt-Problematik ist ein Thema angesprochen, das in viel-
fältiger Weise in Brinkmanns Oeuvre wiederkehrt. Dies gilt schon für die frühe Stu-
die zu Wittenwilers „Ring“ (1956), in der gewissermaßen die kulturgeschichtliche
Begründung des Problems vorgeführt wird. Es wird in dem Maße virulent, in dem
die mittelalterliche Gott-Welt-Analogie im 14./15. Jahrhundert zerfällt, so daß man
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menhang mit dieser Aufgabe fuhren ihn rund um die Welt. 1985 bestellt ihn der
Tübinger Universitätspräsident Theis als wissenschaftlichen Leiter des von ihm am
Heinrich Fabri-Institut in Blaubeuren eingerichteten Geistes- und Sozialwissen-
schaftlichen Forschungszentrums mit der Aufgabe, interdisziplinäre Kolloquien zum
Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften zu organisieren. Und er hat diese
Arbeit auch nach seiner Emeritierung 1986 weitergeführt.
Brinkmanns wissenschaftliche und wissenschaftsorganisatorische Verdienste
sind vielfältig gewürdigt worden. Seine Persönlichkeit: seine Integrität, seine unbe-
stechliche Urteilskraft, die doch immer den Ausgleich suchte, seine geistreiche
Gesprächskunst mit ihren witzigen Pointierungen, seine liebenswürdige Mensch-
lichkeit - dies hat ihm weit über die Fachgrenzen hinaus Sympathien und Bewun-
derung eingebracht. Ehrungen sind nicht ausgeblieben. 1983 wird er zum Korre-
spondierenden Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt,
1986 als Ordentliches Mitglied in unsere Akademie aufgenommen. Zum 60. und
zum 70. Geburtstag werden ihm Festschriften gewidmet („Literaturwissenschaft und
Geistesgeschichte“, 1981; „Zur Ästhetik der Moderne“, 1992). Ein Heft mit den
Reden von Jürgen Brummack, Rektor Eberhard Schaich und Walter Jens, die bei der
Feier der Universität Tübingen zu seinem 80. Geburtstag gehalten worden sind, ist
mit einem Schriftenverzeichnis, besorgt von Reinhard Tgahrt, sowie mit Brink-
manns Antrittsrede vor unserer Akademie 2001 als Privatdruck erschienen.
Fragt man nach dem, was in Sonderheit Richard Brinkmanns wissenschaft-
liches Profil ausmacht, so ist wohl als erstes seine Sensibilität für den mehrschichti-
gen und inner- wie außerliteransch verflochtenen Charakter dichterischen Spre-
chens gegenüber unserem vereindeutigenden Begriffsapparat zu nennen. Es versteht
sich von daher von selbst, daß er sowohl allem Ideologischen wie jedem Pauschalur-
teil überhaupt abhold sein mußte. Auch wenn er etwas positiv formuliert, ist er gleich
dabei, die Grenze einer solchen Aussage bewußt zu machen. Sem Interpretationsstil
übt den Balanceakt zwischen der wissenschaftlichen Begrifflichkeit und der leben-
digen inneren Spannung, die das Niveau literarischer Texte ausmacht.
Meisterhaft wird dies schon in der Habilitationsschrift „Wirklichkeit und Illu-
sion“ gehandhabt. Der Begriff‘Realismus’ verfehlt das mit ihm Gemeinte, wenn man
darin lediglich die Intention sieht, das Tatsächliche wiederzugeben; es gehe vielmehr
um die Frage, wie das Subjekt dieser Tatsächlichkeit habhaft und gerecht zu werden
vermag. Die Möglichkeiten sind offen, und auch wenn wieder neue oder alte Ganz-
heiten anvisiert werden, stehen sie in diesem fragenden Prozeß. Brinkmann hat dies
in der Auseinandersetzung mit den Kritikern seines Buches immer neu verständlich
zu machen versucht. Er mußte diejenigen irritieren, die in seinen Arbeiten handfeste
Ergebnisse suchten und statt dessen auf offene Fragen stießen. Hier traf er sich mit
seinem Freund Hugo Kuhn.
Mit der Subjekt-Objekt-Problematik ist ein Thema angesprochen, das in viel-
fältiger Weise in Brinkmanns Oeuvre wiederkehrt. Dies gilt schon für die frühe Stu-
die zu Wittenwilers „Ring“ (1956), in der gewissermaßen die kulturgeschichtliche
Begründung des Problems vorgeführt wird. Es wird in dem Maße virulent, in dem
die mittelalterliche Gott-Welt-Analogie im 14./15. Jahrhundert zerfällt, so daß man