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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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A. Das akademische Jahr 2014
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Gade, Lutz H.: Das Phänomen der Händigkeit (Chiralität): Seine Bedeutung für die Strukturbildung und Wechselwirkung auf molekularer Ebene – eine Herausforderung für die Molekulare Katalyse: Sitzung der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse am 18. Juli 2014
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0062
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II. Wissenschaftliche Vorträge

Bedingungen biologischen Abbaus. Pasteur erkannte hier ein grundlegendes Prin-
zip (« Si les principes immediats de la vie immediate sont dissymetriques, c’est que,
ä leur elaboration, president des forces cosmiques dissymetriques »). Es ist denk-
bar, dass Lewis Carroll durch die Gespräche am High Table in Christ Church Col-
lege (Oxford) über diese Entwicklungen auf dem Laufenden war, wenngleich das
Spiegelungsprinzip als kulturhistorisches Motiv natürlich wesentlich älter ist.
Er bedurfte des Postulats der tetraedrischen Anordnung der Nachbaratome,
die an ein („vierwertiges“) Kohlenstoffatom gebunden sind, 1874 durch van’t Hoff
und Le Bel, um die systematische Entwicklung der Stereochemie der Moleküle
einzuleiten. Die auf der Homochiralität der Bausteine basierende Chiralität der
Enzyme und Rezeptoren bedeutet aber auch, dass deren Wechselwirkung mit klei-
nen (oder ebenfalls polymeren) Molekülen von deren absoluter Struktur abhängt.
Diese Wechselwirkungen bestimmen, was wir verdauen können, was wir riechen
und schmecken können und wie wir auf pharmazeutische Wirkstoffe reagieren. So
schmeckt beispielsweise der künstliche Süßstoff Aspartam - fast 200mal stärker in
seine Süßkraft als Rohrzucker! - in seiner gespiegelten Form bitter. Kritisch wird
die unterschiedliche Wirkung bei Pharmazeutika, wie der Fall des Medikaments
Thalidomid (Contergan) in den frühen 1960er Jahren gezeigt hatte. Während eines
der beiden enantiomeren Formen dieser Substanz die gewünschte sedative Wir-
kung hat, besitzt ihr Spiegelbild die berüchtigten teratogenen Eigenschaften.
Der Ursprung der Homochiralität der Bausteine in den Biopolymeren, die
die Grundlage der irdischen Lebensformen bildet, bleibt eines der spannenden
Forschungsthemen der Chemie. Uber die Mechanismen der Verstärkung eines
einmal aus dem 1:1-Gleichgewicht („Racemat“) der Enantiomeren geratenen
Systems hat man in den vergangenen zweiJahrzehnten wesentliche neue Erkennt-
nisse gewonnen. Die Kombination autokatalytischer Replikationsschritte mit des-
aktivierender Aggregat-Bildung bildet die Grundlage für einige Modellsysteme.
Weniger weiß man über den Auslöser für die Bevorzugung einer der beiden en-
antiomeren Formen, und dies bleibt ein Gebiet für interessante Spekulationen.
Erkenntnisse hierzu erhoffte man sich u.a. von einem Experiment der Rosetta-
Mission der ESA und der Philae-Landung auf dem Kometen Tschurjumow-Ge-
rassimenko (COSAC-Experiment).
Die gezielte Darstellung einer der beiden möglichen Enantiomere einer chi-
ralen chemischen Verbindung stellt eine Herausforderung an die Synthesechemie
dar. Die eleganteste Lösung des Problems basiert auf der Anwendung chiraler
Katalysatoren, die man als händige chemische Werkzeuge verstehen kann. Kata-
lysatoren ermöglichen bestimmte chemische Transformationen, indem sie diese
einerseits beschleunigen, andererseits in ihrem Verlauf beeinflussen. Dabei wer-
den sie, obwohl sie mit den Reaktionspartnern chemische Bindungen knüpfen
und spalten, in der Gesamt-Reaktionsbilanz nicht umgewandelt und können die
Transformation idealeiweise in vielfachen Zyklen ermöglichen. Enzyme als chirale

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