Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

DOI Kapitel:
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Artikel:
Mair, Christian: Christian Mair: Antrittsrede vom 19. Juli 2014
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0324
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

Christian Mair
Antrittsrede vom 19. Juli 2014

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Sekretär,
meine Damen und Herren,
ich danke ich Ihnen erst einmal sehr, dass Sie mich
der Aufnahme in die Heidelberger Akademie für
würdig befunden haben - dann aber auch dafür, dass
Sie mich durch die Einladung zur Antrittsrede ver-
anlasst haben, mir selbst und Ihnen Rechenschaft
über meinen Werdegang abzulegen.
Einer der Philosophen, die das Problem der Au-
tobiographie - sich selbst zu erkennen und die eige-
ne Person objektiv darzustellen - drastisch auf den
Punkt gebracht haben, ist Ludwig Wittgenstein. Wittgenstein ragt auf vielfache
Weise in mein Fachgebiet, die Linguistik, hinein, so dass ich ihn hier gerne mit
einer Passage aus dem Manuskriptband VI der Philosophischen Bemerkungen zitiere.
Im Alter von knapp über 40 Jahren argumentiert er im Jahre 1931:


„In meiner Autobiographie müßte ich trachten mein Leben [...] ganz wahr-
heitsgetreu darzustellen und zu verstehen. So darf meine unheldenhafte Natur
nicht als ein bedauerliches Accidens erscheinen, sondern eben als eine wesent-
liche Eigenschaft (nicht eine Tugend). Wenn ich es durch einen Vergleich klar
machen darf: Wenn ein »Straßenköter« seine Biographie schriebe, so bestünde
die Gefahr, A) daß er entweder seine Natur verleugnen, oder B) einen Grund
ausfindig machen würde auf sie stolz zu sein, oder C) die Sache so darstellte als
sei diese seine Natur eine nebensächliche Angelegenheit. Im ersten Falle lügt er,
im zweiten ahmt er eine nur dem Naturadel natürliche Eigenschaft, den Stolz
nach, der ein vitium splendidum ist das er ebenso wenig wirklich besitzen kann,
wie ein krüppelhafter Körper natürliche Gracie. Im dritten Fall macht er gleich-
sam die sozialdemokratische Geste, die die Bildung über die rohen Eigenschaf-
ten des Körpers stellt, aber auch das ist ein Betrug.“
Österreicher wie Wittgenstein, aber sicher (noch) wesentlich unheldenhafter als
er, beginne ich mit den biographischen Rahmendaten.
Geboren wurde ich 1958 in Innsbruck, Österreich, als ältestes von drei
Kindern des Lehrerehepaars Josef und Gertrude Mair. Wie im alpinen Westen
Österreichs nicht selten, führt die Reihe der Vorfahren väterlicherseits wie müt-
terlicherseits sehr bald ins dörflich-bäuerliche Milieu zurück. Ein Großvater
(Franz Zorn, 1902-1994) hob sich als Eisenbahner, überzeugter Sozialdemokrat

326
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften