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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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A. Das akademische Jahr 2014
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Höffe, Otfried: Technik – ein Projekt der Freiheit?
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0074
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II. Wissenschaftliche Vorträge

Otfried Höffe
„Technik - ein Projekt der Freiheit?"
Für seine Leitfrage, ob die Technik ein Projekt der Freiheit ist, beginnt der Vortrag
mit einem Begriff der Technik und schließt die Frage nach ihrem Sinn und Zweck
für den Menschen an. Es folgen Überlegungen zu Risiken und der ihretwegen
notwendigen Risikoforschung. Am Ende steht eine tentative Freiheitsbilanz.
1. Begriffsklärung
Seit der Antike, namentlich nach Aristoteles, bedeutet techne bzw. Technik eine
Kunstfertigkeit (ars), nämlich die Fähigkeit, nach lehr- und lernbaren Regeln Din-
ge herzustellen, seien es Werkzeuge, Gebrauchsgüter oder Kunstwerke oder Zu-
stände wie die Gesundheit. Weil die entsprechende Tätigkeit, poiesis, ihren Sinn
und Zweck außerhalb, im Ding oder Zustand, findet, spricht man im Mittelalter
von einer hervorzubringenden actio transcendens und unterscheidet sie von der Pra-
xis im engeren Sinn, der actio immanens, deren Sinn und Zweck in sich selbst, im
gelingenden Vollzug, liegt. Diese in Antike und Mittelalter als Handwerk verstan-
dene Technik (Technologie ist ein aufgebauschter Anglizismus) wandelt sich in
der Moderne auf der Grundlage einer immer weiter reichenden Naturforschung
zu einer umfassenden Ingenieurswissenschaft. Diese soll den Menschen von zahl-
reichen Naturzwängen befreien, dabei die (äußere) Natur dem menschlichen Wil-
len unterwerfen, so dass der Mensch zum „maitre de la nature“ (Descartes), zum
Herrn und Meister über die Natur, wird. In diesem Prozess pflegt ein Mehrwert
und Überschuss zu entstehen, da die Technik über ihre emanzipatorische Leistung
hinaus eine konstruktive Tragweite entfaltet, sichtbar in technischen Meisterleis-
tungen von ägyptischen Pyramiden, griechischen Tempeln oder gotischen Kathe-
dralen bis hin zu immer leistungsfähigeren Robotern und Rechnern.
2. Sinn der Technik: Oikopoiese
Der Mensch, zugleich Mängel- und Vernunftwesen, entwickelt zur Natur drei
Grundarten: eine defensive, eine ökonomische und eine kompensatorische Tech-
nik. Die defensive Technik richtet sich etwa mit dem Deichbau und dem Anle-
gen von Lawinenschutzwäldern gegen zerstörerische Naturgewalten. Eine öko-
nomische Technik, etwa die Domestikation von Tieren und die Züchtung von
Nutzpflanzen, sucht sichere und höhere Erträge. Die kompensatorische Technik
schließlich gleicht artspezifische und individuelle Mängel aus, angefangen mit
Kleidung, Sehhilfen und Wohnung über Haushaltsgeräte bis hin zu Mitteln des
Transports und der Telekommunikation.
Selbst in allen dreien Dimensionen der Meisterschaft über die Natur zusam-
men kann aber nicht das Leitziel der Technik liegen. Vielmehr sind sie zusammen

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