D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder
Barbara Mittler
Antrittsrede vom 19. Juli 2014
Sehr verehrter Herr Präsident Kirchhof,
sehr verehrte Herren jetzige und zukünftige Sekre-
täre, meine sehr verehrten Damen und Herren!
So eine Antrittsrede ist ja kein ganz so alltägliches
Ritual, und so gab es gestern Abend noch eine län-
gere Diskussion darüber, ob und wie sich Antritts-
reden der Mitglieder über die Zeit gewandelt haben
- dass man heute zunehmend auch ironisch sei,
etwa (nicht erotisch, wie es zunächst klang - was
mich dann doch verwundert hatte). Und so hoffe
ich, dass das, was ich vorhatte zu tun, nämlich ein
wenig von den Männern in meinem Leben zu er-
zählen (und wenn ich in die Runde schaue, so scheint mir das ja auch nicht ganz
verfehlt), dass das also der Form doch irgendwie gerecht wird - wobei Sie nicht
besorgt sein müssen - ich mache das ganz anders, als so manche der Quellen,
mit denen ich mich beschäftige, die frühen Shanghaier Printmedien etwa, aus
denen diese Karikaturen [vgl. Beispiele auf der nachfolgenden Seite] stammen,
die Frauen zeigen, die die Männer in ihrem Leben zum Teil doch eher heftig
anfassen ...
Nein, Sie werden sehen, es kommt ganz anders:
Einer der größten Schriftsteller der Moderne, Lu Xun, hat in einer seiner
vielen, insgesamt eigentlich sehr düsteren Kurzgeschichten, die in den frühen
20er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden, einmal gesagt, mit der Hoffnung
sei es, wie mit den Wegen auf der Erde: ursprünglich gab es keine, doch als im-
mer mehr Menschen die Erde beschritten, entstanden auch Wege.
Der für mich die Erde beschritten und mir den Weg frei gemacht hat (nicht
nur, weil er aus Heidelberg wegging, als ich kam), war mein Vater - bis 1990 Leiter
der Heidelberger Universitätsbibliothek und vielen von Ihnen als Initiator der Pa-
latina Ausstellung zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg bekannt - Elmar
Mittler. Eigentlich ist daran, dass ich hier heute stehen darf, als Professorin der
Heidelberger Sinologie und - noch unglaublicher - als Mitglied dieser Akademie,
zunächst und vor allem mein Vater „schuld“, ein Vater, der immer ein Vorbild
war, weil er zum Beispiel, auch und gerade dann, wenn er eigentlich überhaupt
keine Zeit hatte, Zeit hatte, für seine Kinder - meinen fünf Jahre jüngeren Bruder
Daniel und mich. Dabei hat er, in seiner immer weiterstrebenden Art, die uns als
Kinder von Freiburg nach Karlsruhe und dann auch für ein paar Jahre nach Hei-
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Barbara Mittler
Antrittsrede vom 19. Juli 2014
Sehr verehrter Herr Präsident Kirchhof,
sehr verehrte Herren jetzige und zukünftige Sekre-
täre, meine sehr verehrten Damen und Herren!
So eine Antrittsrede ist ja kein ganz so alltägliches
Ritual, und so gab es gestern Abend noch eine län-
gere Diskussion darüber, ob und wie sich Antritts-
reden der Mitglieder über die Zeit gewandelt haben
- dass man heute zunehmend auch ironisch sei,
etwa (nicht erotisch, wie es zunächst klang - was
mich dann doch verwundert hatte). Und so hoffe
ich, dass das, was ich vorhatte zu tun, nämlich ein
wenig von den Männern in meinem Leben zu er-
zählen (und wenn ich in die Runde schaue, so scheint mir das ja auch nicht ganz
verfehlt), dass das also der Form doch irgendwie gerecht wird - wobei Sie nicht
besorgt sein müssen - ich mache das ganz anders, als so manche der Quellen,
mit denen ich mich beschäftige, die frühen Shanghaier Printmedien etwa, aus
denen diese Karikaturen [vgl. Beispiele auf der nachfolgenden Seite] stammen,
die Frauen zeigen, die die Männer in ihrem Leben zum Teil doch eher heftig
anfassen ...
Nein, Sie werden sehen, es kommt ganz anders:
Einer der größten Schriftsteller der Moderne, Lu Xun, hat in einer seiner
vielen, insgesamt eigentlich sehr düsteren Kurzgeschichten, die in den frühen
20er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden, einmal gesagt, mit der Hoffnung
sei es, wie mit den Wegen auf der Erde: ursprünglich gab es keine, doch als im-
mer mehr Menschen die Erde beschritten, entstanden auch Wege.
Der für mich die Erde beschritten und mir den Weg frei gemacht hat (nicht
nur, weil er aus Heidelberg wegging, als ich kam), war mein Vater - bis 1990 Leiter
der Heidelberger Universitätsbibliothek und vielen von Ihnen als Initiator der Pa-
latina Ausstellung zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg bekannt - Elmar
Mittler. Eigentlich ist daran, dass ich hier heute stehen darf, als Professorin der
Heidelberger Sinologie und - noch unglaublicher - als Mitglied dieser Akademie,
zunächst und vor allem mein Vater „schuld“, ein Vater, der immer ein Vorbild
war, weil er zum Beispiel, auch und gerade dann, wenn er eigentlich überhaupt
keine Zeit hatte, Zeit hatte, für seine Kinder - meinen fünf Jahre jüngeren Bruder
Daniel und mich. Dabei hat er, in seiner immer weiterstrebenden Art, die uns als
Kinder von Freiburg nach Karlsruhe und dann auch für ein paar Jahre nach Hei-
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