Antrittsrede von Barbara Mittler
delberg geführt hat, in unnachahmlicher Weise Neu-
gierde geweckt, Wissen weitergegeben, Toleranz und
Offenheit vermittelt.
Einer der für mich verhängnisvollsten Momente
vielleicht, an dem die so offene Begeisterung meines
Vaters überschwappte, mich infizierte und auf neue
Wege führte, war der Moment, zu dem, vor ziem-
lich genau 30 Jahren, im Frühsommer 1984 nämlich,
mein Vater von einer Reise nach China zurückge-
kommen war, wohin er als Berater für den Neubau
der Shanghaier Bibliothek, die für mich noch sehr,
sehr wichtig werden sollte - davon aber später - ein-
geladen worden war und mir dann also, seiner da-
mals 16-jährigen Ältesten, die gerade ein Stipendium
bekommen hatte, in Kanada an einer internationalen
Schule Abitur zu machen, heftigst, ja fast leiden-
schaftlich dazu riet, dort einen Chinesischkurs, den
man belegen konnte, auch unbedingt zu machen.
Und ich machte - natürlich, denn ich machte ja im-
mer alles, was er sagte - damals jedenfalls.
Damit begann ein ganz neues Kapitel in mei-
nem Leben, eines, das immer noch (und hoffentlich
noch lange) nicht zu Ende geschrieben ist, neu des-
wegen, weil ich ja eigentlich, wie mein anderes gro-
ßes Vorbild, meine Mutter nämlich, hatte Musikerin
werden wollen und entsprechend denn auch einen
einigermaßen verärgerten Klavierprofessor und eine,
Gott sei Dank, nicht ganz so wütende Geigenleh-
rerin zurückließ, als ich 1985-1987 gen Vancouver
Island in Kanada loszog, um dort am Pearson Col-
lege ein Baccalaureat International zu machen - mit
Chinesisch als Abitursfach.
Shanghai Manhua 1928
Shanghai Manhua 1928
Linglong 1932
Das neue Kapitel wurde dann fortgeschrieben, als ich - mein Traum seit ich in
der 10. Klasse drei Monate in England gewesen war und auf einem gemeinsamen
Schulausflug Oxford gesehen hatte - dort zu meinem größten Erstaunen (und
dem noch größeren meiner Eltern, die gar nicht wussten, dass ich mich beworben
hatte) einen Studienplatz für Sinologie angeboten bekam. Das Studium in Oxford
war eine unglaublich intensive Erfahrung: mit seinen wahnsinnig kurzen Trimes-
tern, in denen nicht nur jeweils wöchentliche Einzeltutorials in klassischem und
modernem Chinesisch, Literatur, Geschichte, Philosophie, Kunstgeschichte und
was sonst noch alles dazugehörte, bestanden werden mussten, sondern in die ne-
333
delberg geführt hat, in unnachahmlicher Weise Neu-
gierde geweckt, Wissen weitergegeben, Toleranz und
Offenheit vermittelt.
Einer der für mich verhängnisvollsten Momente
vielleicht, an dem die so offene Begeisterung meines
Vaters überschwappte, mich infizierte und auf neue
Wege führte, war der Moment, zu dem, vor ziem-
lich genau 30 Jahren, im Frühsommer 1984 nämlich,
mein Vater von einer Reise nach China zurückge-
kommen war, wohin er als Berater für den Neubau
der Shanghaier Bibliothek, die für mich noch sehr,
sehr wichtig werden sollte - davon aber später - ein-
geladen worden war und mir dann also, seiner da-
mals 16-jährigen Ältesten, die gerade ein Stipendium
bekommen hatte, in Kanada an einer internationalen
Schule Abitur zu machen, heftigst, ja fast leiden-
schaftlich dazu riet, dort einen Chinesischkurs, den
man belegen konnte, auch unbedingt zu machen.
Und ich machte - natürlich, denn ich machte ja im-
mer alles, was er sagte - damals jedenfalls.
Damit begann ein ganz neues Kapitel in mei-
nem Leben, eines, das immer noch (und hoffentlich
noch lange) nicht zu Ende geschrieben ist, neu des-
wegen, weil ich ja eigentlich, wie mein anderes gro-
ßes Vorbild, meine Mutter nämlich, hatte Musikerin
werden wollen und entsprechend denn auch einen
einigermaßen verärgerten Klavierprofessor und eine,
Gott sei Dank, nicht ganz so wütende Geigenleh-
rerin zurückließ, als ich 1985-1987 gen Vancouver
Island in Kanada loszog, um dort am Pearson Col-
lege ein Baccalaureat International zu machen - mit
Chinesisch als Abitursfach.
Shanghai Manhua 1928
Shanghai Manhua 1928
Linglong 1932
Das neue Kapitel wurde dann fortgeschrieben, als ich - mein Traum seit ich in
der 10. Klasse drei Monate in England gewesen war und auf einem gemeinsamen
Schulausflug Oxford gesehen hatte - dort zu meinem größten Erstaunen (und
dem noch größeren meiner Eltern, die gar nicht wussten, dass ich mich beworben
hatte) einen Studienplatz für Sinologie angeboten bekam. Das Studium in Oxford
war eine unglaublich intensive Erfahrung: mit seinen wahnsinnig kurzen Trimes-
tern, in denen nicht nur jeweils wöchentliche Einzeltutorials in klassischem und
modernem Chinesisch, Literatur, Geschichte, Philosophie, Kunstgeschichte und
was sonst noch alles dazugehörte, bestanden werden mussten, sondern in die ne-
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