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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
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Mittler, Barbara: Barbara Mittler: Antrittsrede vom 19. Juli 2014
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0332
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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

ben dem obligatorischen frühen Aufstehen zum morgendlichen Rudern auch un-
glaublich viele musikalische Erfahrungen hineingepackt waren, drei Chöre, zwei
Orchester und ein verrückter Trompete-spielender Freund, mit dem ich musizier-
te, dann, später, die Fiddelstunden bei den Tempelwächtern auf Taiwan, wo meine
Oxforder Klasse acht Monate gemeinsam studierte, das Aufstreben und der blutige
Fall der chinesischen Demokratiebewegung im Frühjahr 1989, der Mauerfall und
schließlich die „Finals“, die begleitet waren von den brillanten Klängen der Inter-
pretationen eines Vladimir Horowitz, der konstant im Radio gespielt wurde, weil
er kurz zuvor, im November 1989 verstorben war.
Diesem etwas ebenso Intensives folgen zu lassen, war nicht einfach, und noch
einmal stellte sich deswegen nach dem Examen die Frage, ob ich nicht doch viel-
leicht lieber eine Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule machen sollte. Aber
die Idee, mich nach Heidelberg und an den großen Sinologen Rudolf Wagner zu
wenden, der gerade dabei war aus dem klitzekleinen Institut für Sinologie, das er
eine „Würstchenbude“ nannte, etwas zu bauen, was niemand Geringeres als Frau
Hundt - nicht nur mit einem Schmunzeln, sondern auch mit einem Stirnrun-
zeln - irgendwann einmal dann ein „riesiges Frachtschiff” genannt hat, die Idee
also, nach Heidelberg zu kommen und bei Rudolf Wagner und Ludwig Finscher
zu promovieren, entpuppte sich als schicksalhafter Glücksgriff. Beide begleiteten
sie meinen Weg auf ihre besondere und sehr unterschiedliche Weise, der eine be-
harrlich mit dem Blick für jedes kleine Detail, der andere mit dem Sinn für das
Weite, der schon in die Richtung wies, die viele von uns dann später gemeinsam
beschritten haben, im Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ und
im daraus hervorgegangenen Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien
(HCTS).
Ich habe bis heute die Entführung in die Sinologie, derer ich meinen Vater
schuldig spreche, nicht bereut. Denn bedeutete nicht das Öffnen dieses Weges
in das Leben an der Universität, dass man nun und hier wirklich das tun konnte,
was er (und meine Mutter und auch meine beiden Doktorväter) mir immer en-
thusiastisch vorgemacht hatten: Arbeiten. Aber arbeiten an solchen Dingen und
Themen, die einem die allergrößte Freude bereiteten: auch an der Musik, der ich
mich nicht wirklich entfernen konnte und die ich also zum Thema meiner Disser-
tation machte, in der es darum ging, den Umgang mit chinesischen musikalischen,
philosophischen und künstlerischen Traditionen in der Neuen Musikwelt Chinas
in drei unterschiedlichen chinesischen politischen Systemen (und zwar der Volks-
republik, Hong Kongs und Taiwans) genauer zu untersuchen (Dangerous Tunes: The
Politics of Chinese Music in Hong Kong, Taiwan and the People’s Republic of China since
1949, Wiesbaden: Harrassowitz 1997).
Von der europäisch-geprägten Musik und ihrem Einzug im China des
20. Jahrhunderts war ein nicht unbedingt zwingender aber doch zumindest be-
dingt logischer Weg zu den von Europäern gegründeten Zeitungen im China

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