Antrittsrede von Barbara Mittler
des 19. Jahrhunderts, denen meine Habilitationsschrift gewidmet ist - und diese
fanden sich nun vornehmlich in jener Shanghaier Bibliothek, bei der mein Va-
ter am Bau beraten hatte. Meine 1997 in Harvard fertiggeschriebene und 1998 in
Heidelberg eingereichte Habilitationsschrift fragt, was passiert, wenn ein fremdes
Medium in China eingeführt wird: wie schreibt man einen Leitartikel, eine Nach-
richtenmeldung, so dass ein chinesischer Leser das richtig versteht? Wie bringt
man eine Neuerung am besten und geschicktesten rhetorisch an, durch Nutzung
literarischer Genres (z. B. des achtfüßigen Prüfungsaufsatzes) oder bestimmter
narrativer Strategien und autoritativer Zitatstrukturen (aus den konfuzianischen
Klassikern) im Text des neuen Mediums, der dadurch grundlegend verändert
wurde (A Newspaper for China? Power, Identity and Change in China’s News-Media,
1872- 1912, Cambridge/Mass.: Harvard University Press, 2004)?
In dieser Arbeit nun, die sich der Zeitung als Text zuwendet, und die vie-
le Zugänge aus der Literaturwissenschaft nutzt, wird der Einfluss eines weiteren
wichtigen Mannes in meinem Leben ganz besonders deutlich, des Literaturwis-
senschaftlers/Altphilologen/Romanisten und Opernkenners Thomas A. Schmitz,
der mir das Lesen, das genaue Hinschauen und die Liebe zum poetischen wie
musikalischen Detail gelehrt hat und den ich - „klassisch“ könnte man fast sagen
- 1990 auf einer Sommerakademie in den Alpen kennengelernt hatte ... Das war
der Anfang einer langen Pendelbeziehung, die uns zwischen Heidelberg, Köln,
Kiel, Paris, Frankfurt und Bonn mobil hielt (und immer noch hält - wie schön,
dass wir das nächste halbe Jahr tatsächlich gemeinsam in Stanford / Kalifornien
verbringen). Als wir schließlich 1997 beide gemeinsam mit einem Stipendium
der DFG nach Harvard gingen, waren unsere engsten Freunde nicht nur ein biss-
chen skeptisch und besorgt, „ob das wohl gut geht“. Es wurde das bisher schönste
und spannendste Jahr meines Lebens, und auch „professionell“ eine interessante
Erfahrung, konnte man doch als deutsche Regionalwissenschaftlerin in Berkeley
bei den Kulturwissenschaften, in McGill bei den Literaturwissenschaften und in
Columbia bei der Geschichte erfolgreich vorsingen ...! Trotz all dieser Verlockun-
gen haben wir uns am Ende dann doch für einen Lebensmittelpunkt in Frank-
furt entschieden, von wo ich zunächst bequem nach Heidelberg und, mit einem
Heisenberg-Stipendium dann nach Marburg pendeln konnte, mit unseren beiden
Söhnen (leider sind es dann nur zwei geblieben) die flugs darauf, 2000 und 2002,
geboren wurden.
In jenem Jahr in Harvard nun, hatten ein paar Ideen zu reifen begonnen,
die kürzlich in einer viel zu dicken Monographie zur Kultur der Großen Pro-
letarischen Kulturrevolution (A Continuous Revolution: Making Sense of Cultural
Revolution Culture, Cambridge/Mass.: Harvard University Press, 2012) erschie-
nen sind. Das dicke Buch versucht - auch mit Hilfe einer Datenbank, die die
vielen audio-visuellen Zeugnisse, die in der Arbeit diskutiert werden, in einer
Online-Ausstellung vorhält - die Komplexität dieser entscheidenden Dekade
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des 19. Jahrhunderts, denen meine Habilitationsschrift gewidmet ist - und diese
fanden sich nun vornehmlich in jener Shanghaier Bibliothek, bei der mein Va-
ter am Bau beraten hatte. Meine 1997 in Harvard fertiggeschriebene und 1998 in
Heidelberg eingereichte Habilitationsschrift fragt, was passiert, wenn ein fremdes
Medium in China eingeführt wird: wie schreibt man einen Leitartikel, eine Nach-
richtenmeldung, so dass ein chinesischer Leser das richtig versteht? Wie bringt
man eine Neuerung am besten und geschicktesten rhetorisch an, durch Nutzung
literarischer Genres (z. B. des achtfüßigen Prüfungsaufsatzes) oder bestimmter
narrativer Strategien und autoritativer Zitatstrukturen (aus den konfuzianischen
Klassikern) im Text des neuen Mediums, der dadurch grundlegend verändert
wurde (A Newspaper for China? Power, Identity and Change in China’s News-Media,
1872- 1912, Cambridge/Mass.: Harvard University Press, 2004)?
In dieser Arbeit nun, die sich der Zeitung als Text zuwendet, und die vie-
le Zugänge aus der Literaturwissenschaft nutzt, wird der Einfluss eines weiteren
wichtigen Mannes in meinem Leben ganz besonders deutlich, des Literaturwis-
senschaftlers/Altphilologen/Romanisten und Opernkenners Thomas A. Schmitz,
der mir das Lesen, das genaue Hinschauen und die Liebe zum poetischen wie
musikalischen Detail gelehrt hat und den ich - „klassisch“ könnte man fast sagen
- 1990 auf einer Sommerakademie in den Alpen kennengelernt hatte ... Das war
der Anfang einer langen Pendelbeziehung, die uns zwischen Heidelberg, Köln,
Kiel, Paris, Frankfurt und Bonn mobil hielt (und immer noch hält - wie schön,
dass wir das nächste halbe Jahr tatsächlich gemeinsam in Stanford / Kalifornien
verbringen). Als wir schließlich 1997 beide gemeinsam mit einem Stipendium
der DFG nach Harvard gingen, waren unsere engsten Freunde nicht nur ein biss-
chen skeptisch und besorgt, „ob das wohl gut geht“. Es wurde das bisher schönste
und spannendste Jahr meines Lebens, und auch „professionell“ eine interessante
Erfahrung, konnte man doch als deutsche Regionalwissenschaftlerin in Berkeley
bei den Kulturwissenschaften, in McGill bei den Literaturwissenschaften und in
Columbia bei der Geschichte erfolgreich vorsingen ...! Trotz all dieser Verlockun-
gen haben wir uns am Ende dann doch für einen Lebensmittelpunkt in Frank-
furt entschieden, von wo ich zunächst bequem nach Heidelberg und, mit einem
Heisenberg-Stipendium dann nach Marburg pendeln konnte, mit unseren beiden
Söhnen (leider sind es dann nur zwei geblieben) die flugs darauf, 2000 und 2002,
geboren wurden.
In jenem Jahr in Harvard nun, hatten ein paar Ideen zu reifen begonnen,
die kürzlich in einer viel zu dicken Monographie zur Kultur der Großen Pro-
letarischen Kulturrevolution (A Continuous Revolution: Making Sense of Cultural
Revolution Culture, Cambridge/Mass.: Harvard University Press, 2012) erschie-
nen sind. Das dicke Buch versucht - auch mit Hilfe einer Datenbank, die die
vielen audio-visuellen Zeugnisse, die in der Arbeit diskutiert werden, in einer
Online-Ausstellung vorhält - die Komplexität dieser entscheidenden Dekade
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