1. Zeiten des Umbruchs? (WIN-Programm)
Menschliche Mobilität und Verwandtschaftsbeziehungen
Wie sich bei den ersten Analysen der alten DNA (aDNA) zeigte, weisen die Pro-
ben aus dem Augsburger Raum durchweg eine gute, zum Teil sogar exzeptionel-
le DNA-Erhaltung auf, wie man sie ansonsten aus der mitteleuropäischen Ur-
geschichte kaum kennt. Dies ermöglichte uns nicht nur, für nahezu alle Proben
erfolgreich die mitochondriale DNA (mtDNA) zu sequenzieren, sondern wird
uns in Zukunft auch die Sequenzierung relevanter Abschnitte der Kern-DNA und
damit einzigartige Einblicke in die endneolithische und frühbronzezeitliche Po-
pulation erlauben. Bislang wurden nur Individuen des Endneolithikums und des
frühen Abschnitts der frühen Bronzezeit (bis ca. 1900 v. Chr.) paläogenetisch und
isotopenchemisch untersucht. Es zeigte sich, dass in den endneolithischen Indi-
viduen des Glockenbecherphänomens im Augsburger Raum eine Variabilität an
maternal vererbten mitochondrialen DNA-Linien vorliegt, die den Bestatteten des
Glockenbecherphänomens im Mittelelbe-Saale-Gebiet ähnelt, von wo umfangrei-
che DNA-Analysen an Skelettmaterial des 3. Jts v Chr. publiziert sind. Diese Va-
riabilität setzt sich bis in die Frühbronzezeit fort, wird dann aber durch zahlreiche
Linien erweitert. Statistisch gesehen unterscheidet sich deshalb die Variabilität der
mtDNA-Linien im Augsburger Raum signifikant sowohl von derjenigen des Glo-
ckenbecherphänomens (in der Region Augsburg wie auch im Mittelelbe-Saale-
Gebiet) als auch von derjenigen der frühbronzezeitlichen Population des Mittelel-
be-Saale-Gebietes. Andererseits war es uns aber auch möglich, direkte maternale
Veiwandtschaften zwischen den jüngsten neolithischen Bestattungen und den frü-
hesten frühbronzezeitlichen Bestattungen festzustellen und damit eine genetische
Kontinuität über den Epochenwechsel hinweg zu belegen. Auf einmalige Weise
zeigt die Region Augsburg die Komplexität der sozialen Prozesse am Wandel vom
Endneolithikum zur Frühbronzezeit. Trotz klarer Veiwandtschaften über die Epo-
chengrenze hinweg und damit eindeutiger Ortskonstanz der lokalen Bevölkerung
oder zumindest von Teilen der Bevölkerung hatten soziale Mechanismen - ver-
mutlich spezifische Heiratsregeln - einen deutlichen Wandel der Variabilität der
mtDNA-Linien zur Folge.
Der Strontium- und Sauerstoffisotopie verdanken wir wiederum die Erklä-
rung eben jener sozialer Mechanismen: Gorina Knipper konnte zeigen, dass im
Endneolithikum wie in der Frühbronzezeit im Raum Augsburg ein sehr spezi-
fisches, überraschendes Mobilitätsmuster bestand, das zwischen ca. 2400 und
1800 v. Chr. unverändert beibehalten wurde: In jedem der Friedhöfe der einzelnen
Gehöfte befanden sich unter den Bestatteten zumeist eine, manchmal auch bis zu
vier fremde Frauen. Sie verbrachten ihre Kindheit nicht in der näheren Umge-
bung (d. h. auf Löss oder Schottern mit hohem Kalkgehalt, wie sie im Alpenvor-
land vorherrschen), sondern vermutlich aus Böhmen oder weiter östlich oder dem
Mittelelbe-Saale-Gebiet und wurden vielleicht in die Region Augsburg verheiratet.
243
Menschliche Mobilität und Verwandtschaftsbeziehungen
Wie sich bei den ersten Analysen der alten DNA (aDNA) zeigte, weisen die Pro-
ben aus dem Augsburger Raum durchweg eine gute, zum Teil sogar exzeptionel-
le DNA-Erhaltung auf, wie man sie ansonsten aus der mitteleuropäischen Ur-
geschichte kaum kennt. Dies ermöglichte uns nicht nur, für nahezu alle Proben
erfolgreich die mitochondriale DNA (mtDNA) zu sequenzieren, sondern wird
uns in Zukunft auch die Sequenzierung relevanter Abschnitte der Kern-DNA und
damit einzigartige Einblicke in die endneolithische und frühbronzezeitliche Po-
pulation erlauben. Bislang wurden nur Individuen des Endneolithikums und des
frühen Abschnitts der frühen Bronzezeit (bis ca. 1900 v. Chr.) paläogenetisch und
isotopenchemisch untersucht. Es zeigte sich, dass in den endneolithischen Indi-
viduen des Glockenbecherphänomens im Augsburger Raum eine Variabilität an
maternal vererbten mitochondrialen DNA-Linien vorliegt, die den Bestatteten des
Glockenbecherphänomens im Mittelelbe-Saale-Gebiet ähnelt, von wo umfangrei-
che DNA-Analysen an Skelettmaterial des 3. Jts v Chr. publiziert sind. Diese Va-
riabilität setzt sich bis in die Frühbronzezeit fort, wird dann aber durch zahlreiche
Linien erweitert. Statistisch gesehen unterscheidet sich deshalb die Variabilität der
mtDNA-Linien im Augsburger Raum signifikant sowohl von derjenigen des Glo-
ckenbecherphänomens (in der Region Augsburg wie auch im Mittelelbe-Saale-
Gebiet) als auch von derjenigen der frühbronzezeitlichen Population des Mittelel-
be-Saale-Gebietes. Andererseits war es uns aber auch möglich, direkte maternale
Veiwandtschaften zwischen den jüngsten neolithischen Bestattungen und den frü-
hesten frühbronzezeitlichen Bestattungen festzustellen und damit eine genetische
Kontinuität über den Epochenwechsel hinweg zu belegen. Auf einmalige Weise
zeigt die Region Augsburg die Komplexität der sozialen Prozesse am Wandel vom
Endneolithikum zur Frühbronzezeit. Trotz klarer Veiwandtschaften über die Epo-
chengrenze hinweg und damit eindeutiger Ortskonstanz der lokalen Bevölkerung
oder zumindest von Teilen der Bevölkerung hatten soziale Mechanismen - ver-
mutlich spezifische Heiratsregeln - einen deutlichen Wandel der Variabilität der
mtDNA-Linien zur Folge.
Der Strontium- und Sauerstoffisotopie verdanken wir wiederum die Erklä-
rung eben jener sozialer Mechanismen: Gorina Knipper konnte zeigen, dass im
Endneolithikum wie in der Frühbronzezeit im Raum Augsburg ein sehr spezi-
fisches, überraschendes Mobilitätsmuster bestand, das zwischen ca. 2400 und
1800 v. Chr. unverändert beibehalten wurde: In jedem der Friedhöfe der einzelnen
Gehöfte befanden sich unter den Bestatteten zumeist eine, manchmal auch bis zu
vier fremde Frauen. Sie verbrachten ihre Kindheit nicht in der näheren Umge-
bung (d. h. auf Löss oder Schottern mit hohem Kalkgehalt, wie sie im Alpenvor-
land vorherrschen), sondern vermutlich aus Böhmen oder weiter östlich oder dem
Mittelelbe-Saale-Gebiet und wurden vielleicht in die Region Augsburg verheiratet.
243