Nachruf auf M. Rainer Lepsius
sehen Milieus. Auch als in Heidelberg, ehemals Wirkungsstätte Max Webers, nach
langen Vakanzen die Schließung des Instituts für Soziologie und Ethnologie droh-
te, half er von Mannheim aus mit, dies zu verhindern. Sein Eintritt in den Her-
ausgeberkreis der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, die er
16 Jahrgänge lang mit gestaltete, darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt
bleiben. Schließlich wirkte ihr Herausgeberkreis an der Definition der Standards
gediegener soziologischer Forschung in der Bundesrepublik und damit an der Pro-
fessionalisierung des Faches mit.
Mit der Wiedervereinigung war zudem der Aufbau der Soziologie in den
ostdeutschen Ländern verbunden. Rainer Lepsius wurde Mitglied in der von
Max Kaase geleiteten Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrats, die eine Empfehlung
zur künftigen Entwicklung der Fächer Soziologie und Politische Wissenschaft an
den ostdeutschen Universitäten erarbeitete. Diese Empfehlung hatte große Be-
deutung, denn sie wurde tatsächlich zur Richtlinie für den Aufbau dieser beiden
Fächer im Umfang von jeweils sechs Professuren. Niemals zuvor hatte man in
Deutschland diese beiden Fächer flächendeckend in dieser Breite institutionali-
siert. Er selbst übernahm dann den Aufbau der Soziologie in Halle, an dem Ort,
wo sein Urahn Peter Christoph Leps promoviert worden war und sich in Lepsius
umbenannt hatte.
Es ließe sich noch vieles zu Rainer Lepsius als Professionspolitiker sagen. Das
Wichtigste dazu sagt er selbst in dem von Adalbert Hepp und Martina Löw heraus-
gegebenen Band „M. Rainer Lepsius. Soziologie als Profession“ (2008). Brechen
wir hier ab und kehren zurück zu dem Wissenschaftler und Zeitdiagnostiker. Zwei
Komplexe bedürfen noch der rückblickenden Betrachtung: Die Europäische Uni-
on und die Max Weber-Gesamtausgabe, deren geschäftsführender Herausgeber er
von Beginn an war.
Für Rainer Lepsius bedeutete die Wiedervereinigung in Verbindung mit der
Ratifizierung der Verträge von Maastricht eine Art Epochenschwelle in der jün-
geren deutschen Geschichte. Damit war für ihn die offene Staatlichkeit der Bun-
desrepublik durch Kompetenzübertragung auf die europäische Ebene irreversibel
geworden und die Vorstellung von der EU als einem Zweckverband endgültig
obsolet. Im Ringen um die Charakterisierung dieses eigenartigen supranationa-
len Regimes EU bekämpfte er vor allem zwei immer wieder vertretene Konzep-
te: den europäischen föderativen Bundesstaat in Analogie zum Nationalstaat und
das Europa der Regionen, in dem er das Programm einer Devolution der großen
Flächenstaaten sah. Die EU war für ihn eine Art Staatsbildung ohne Nationenbil-
dung, welche deshalb die Nationalstaaten als konstitutive Struktur- und Funkti-
onseinheiten und zur Legitimation ihrer Entscheidungen nicht entbehren könne.
Er spielte gerne mit der Analogie zwischen EU und deutschem Kaiserreich. Ent-
scheidend für ihn war: Die Lösung konnte nicht in einem parlamentarisch kon-
trollierten europäischen Zentralstaat liegen. Es gibt keinen europäischen Demos,
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sehen Milieus. Auch als in Heidelberg, ehemals Wirkungsstätte Max Webers, nach
langen Vakanzen die Schließung des Instituts für Soziologie und Ethnologie droh-
te, half er von Mannheim aus mit, dies zu verhindern. Sein Eintritt in den Her-
ausgeberkreis der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, die er
16 Jahrgänge lang mit gestaltete, darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt
bleiben. Schließlich wirkte ihr Herausgeberkreis an der Definition der Standards
gediegener soziologischer Forschung in der Bundesrepublik und damit an der Pro-
fessionalisierung des Faches mit.
Mit der Wiedervereinigung war zudem der Aufbau der Soziologie in den
ostdeutschen Ländern verbunden. Rainer Lepsius wurde Mitglied in der von
Max Kaase geleiteten Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrats, die eine Empfehlung
zur künftigen Entwicklung der Fächer Soziologie und Politische Wissenschaft an
den ostdeutschen Universitäten erarbeitete. Diese Empfehlung hatte große Be-
deutung, denn sie wurde tatsächlich zur Richtlinie für den Aufbau dieser beiden
Fächer im Umfang von jeweils sechs Professuren. Niemals zuvor hatte man in
Deutschland diese beiden Fächer flächendeckend in dieser Breite institutionali-
siert. Er selbst übernahm dann den Aufbau der Soziologie in Halle, an dem Ort,
wo sein Urahn Peter Christoph Leps promoviert worden war und sich in Lepsius
umbenannt hatte.
Es ließe sich noch vieles zu Rainer Lepsius als Professionspolitiker sagen. Das
Wichtigste dazu sagt er selbst in dem von Adalbert Hepp und Martina Löw heraus-
gegebenen Band „M. Rainer Lepsius. Soziologie als Profession“ (2008). Brechen
wir hier ab und kehren zurück zu dem Wissenschaftler und Zeitdiagnostiker. Zwei
Komplexe bedürfen noch der rückblickenden Betrachtung: Die Europäische Uni-
on und die Max Weber-Gesamtausgabe, deren geschäftsführender Herausgeber er
von Beginn an war.
Für Rainer Lepsius bedeutete die Wiedervereinigung in Verbindung mit der
Ratifizierung der Verträge von Maastricht eine Art Epochenschwelle in der jün-
geren deutschen Geschichte. Damit war für ihn die offene Staatlichkeit der Bun-
desrepublik durch Kompetenzübertragung auf die europäische Ebene irreversibel
geworden und die Vorstellung von der EU als einem Zweckverband endgültig
obsolet. Im Ringen um die Charakterisierung dieses eigenartigen supranationa-
len Regimes EU bekämpfte er vor allem zwei immer wieder vertretene Konzep-
te: den europäischen föderativen Bundesstaat in Analogie zum Nationalstaat und
das Europa der Regionen, in dem er das Programm einer Devolution der großen
Flächenstaaten sah. Die EU war für ihn eine Art Staatsbildung ohne Nationenbil-
dung, welche deshalb die Nationalstaaten als konstitutive Struktur- und Funkti-
onseinheiten und zur Legitimation ihrer Entscheidungen nicht entbehren könne.
Er spielte gerne mit der Analogie zwischen EU und deutschem Kaiserreich. Ent-
scheidend für ihn war: Die Lösung konnte nicht in einem parlamentarisch kon-
trollierten europäischen Zentralstaat liegen. Es gibt keinen europäischen Demos,
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