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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2017
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Reinkowski, Maurus: Das Ende der Ersten Republik – zur Geschichte der modernen Türkei
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0045
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Maurus Reinkowski

rungsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds
um die Jahrtausendwende aufbauen konnte. Unter der Regierung der AKP ver-
stärkte sich jedoch die Dynamik und neue Führungspersonen der türkischen Wirt-
schaft kamen zum Vorschein, wie etwa die „islamischen Calvinisten“, unter denen
anatolische Städte wie Konya, Kayseri und Gaziantep zu Wirtschafts- und Indust-
riezentren aufstiegen. Eine neue Pluralität war entstanden, indem den alten Eliten
neue Aufsteiger gegenüberstanden.
Aber war alles nur eine Illusion? Denn der goldenen Zeit der 2000er Jahre, als
in einer Art Gleichgewicht die alten kemalistischen Eliten in Justiz, Militär, Ver-
waltung, Wirtschaft und Wissenschaft noch nicht völlig entmachtet waren und die
AKP-Regierung noch nicht zu vollständiger Machtfülle gelangt war, folgte in den
2010er Jahren eine zunehmende Verhärtung. Es kam letztlich sogar zur Entzwei-
ung zwischen Recep Tayyip Erdogans AKP und den alten Weggefährten der von
Fethullah Gülen geführten Hizmet („Dienst“)-Bewegung.
Dem auf groteske Weise gescheiterten Militärputsch in der Nacht vom 15. auf
den 16. Juli 2016 folgte in den Monaten darauf ein Staatsputsch, im Verlaufe des-
sen sich die Türkei in einen autoritären Staat verwandelte. Das mit einer knappen
Mehrheit angenommene Referendum vom 16. April 2017 sprach dem Amt des
Staatspräsidenten weitreichende Macht zu. Zugleich ist es die erste Abstimmung
in der demokratischen Geschichte der Türkei, bei der Zweifel an der Korrektheit
der Stimmenauszählung bestehen müssen.
Man könnte also von einer Rückkehr in die frühe Zeit des kemalistischen Au-
toritarismus, allerdings unter den Vorzeichen einer islamisch-konservativen Bewe-
gung sprechen. Mit gleichem Recht ließe sich an eine differenzierte Periodisierung
denken, die die Geschichte der Türkischen Republik in mehrere Segmente zerlegt,
also von mehreren Republiken sprechen. Oder man könnte einfach argumentie-
ren, dass die Beharrungskräfte übeiwiegen: Die langen Linien des autoritären Staa-
tes vor und nach 2015/6 sind nämlich unverkennbar. Kämpfte die AKP-Regierung
noch in den 2000er Jahren gegen den „tiefen Staat“, der Verbindung von Teilen
des offiziellen Sicherheitsapparats mit illegalen Elementen, so sehen wir in den
letzten Jahren einen neuen „tiefen Staat“ auftauchen, der neben den offiziellen Si-
cherheitsorganen Krieg in Südostanatolien führt. Wir haben zudem wieder einen
„hohen Staat“ vor uns, der sich den Gesetzen und Regeln einer Demokratie nur
im Sinne eines unbedingt zu verfolgenden höheren Zieles verpflichtet fühlt.
Die Verengung des politisch-gesellschaftlichen Projekts der AKP auf eine
autoritäre Gesellschaftsordnung mit einer islamisch-konservativen Umkleidung
war schon seit mehreren Jahren deutlich zu sehen. Jedoch ist die Putschnacht
die entscheidende Wende. Nicht umsonst bemüht sich die jetzige Regierung,
den von Staat und Gesellschaft abgewehrten Putsch in einen neuen Nationalmy-
thos umzuformen, der dem bisherigen des erfolgreichen Unabhängigkeitskrieges
(1919-1922) zumindest zur Seite gestellt werden, wenn nicht sogar diesen ab-

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